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Belgien und Holland

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Klassizismus cles Römertums, seiner Imperatoren- und Gäsarenzeit, mit
seinem Triumphatorenschmuck in Säule, Tempel und Bogen zu Hilfe.

Charles Percier (1764—1838) und Pierre Fr. Louis Fontaine (1762—1853)
haben es nun vermocht, noch vor Napoleon jenem Stil Ausdruck zu geben, der
jetzt unter dem Namen Empire bekannt ist und der bestimmt war, für eine
reichliche Spanne Zeit — weniger die Architektur als die Mode Europas zu
heherrschen.

Aber auch Perciers und Fontaines Schaffen stand auf gutem Boden zweck-
licher Wahrhaftigkeit. Ihr vornehmster Grundsatz war bei der vielseitigen An-
forderung, der sie in altrömischer Architektur genügen mußten, doch immer der
Gedanke Laugiers, der Wille zur Wahrheit, wenngleich in den Grenzen der antiken
Formenwelt. Die Formen eines Gegenstandes, war ihre Lehre, sind gegeben
(determinees) durch seinen Gebrauch. Die Konstruktion soll nicht maskiert werden
— weder beim Möbel noch beim Bau. Der Baustoff soll nie erheuchelt, vorgetäuscht
(dissimule) werden, und die Wahl der Ornamente wird vollkommen von diesem
Baustoff diktiert.“ Solche Sätze könnte auch einer unserer Architekten geschrieben
haben. Nur daß die Percier und Fontaine in ihrer Zeit fühlten und sich der
großen Unwahrheit des geborgten antiken Gewandes gar nicht bewußt wurden,
das ihre Regeln am Ende doch Lügen strafte! Und so sagen sie naiv weiter:
„II faut adopter les modeles de l’antiquite ä notre temps et ä nos moeurs, en y
melant, si c’est necessaire, les aspirations des äges plus recents.“

Perciers und Fontaines Schaffen greift auch nach Napoleons Abschied und
Tod noch tief in die neuere Geschichte — auch in die des Eklektizismus —
hinein x), erst die fortschreitende Romantik ließ sie von der Bühne der damaligen
Baukunst abtreten.

Außer ihnen schufen zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch Künstler wie
J. Baptiste Lepere (1761—1844), Bern. Poyet (1742—1824), Vignon (bis 1846) u. a.
Das, was dem französischen Klassizismus seiner Zeit eigentümlich ist, ist trotz
Laugier, der im Essai sur l’architecture sagte, daß die Römer nur ein mittel-
mäßiges Verdienst um die Baukunst haben, doch das römische Kolorit. Wenn
zahlreiche Franzosen diese latinisierende Kunstweise auch nach Belgien, Deutsch-
land, Italien, Rußland und Österreich zu tragen bestellt waren — immer wird
diese Eigenschaft den Franzosen bleiben, während wir in Deutschland und
England die Aufnahme des Hellenismus nehen der Pflege eines bescheidenen
Palladianismus werden erkennen können.

c) Belgien und Holland

Es ist fast selbstverständlich, daß Belgien sich im wesentlichen in seinem
Klassizismus an Frankreich anschließt. Der Grund dafür liegt wohl in der natio-
nalen Verwandtschaft dieses Landes zu Frankreich, die auch die Eingriffe Öster-
reichs seit dem Frieden zu Utrecht (1713) nicht zu lösen vermochten. Im Gegen-
teil — die Reformen Josephs II. (1765—90), die darauf hinausgingen, sämtliche
dem österreichischen Zepter unterworfenen Völker zu einer großen Nation zu
einen, ungeachtet aller ihnen eigentümlichen Gerechtsame, die Schul- und Kirchen-
reformen nach großempfundenem, aber rücksichtslosem Schema verursachten doch
nur, das belgisch-flandrische Volk in sich inniger zn festigen als hisher — und
wenngleich der Mittelpunkt der belgischen Bewegung der Klerus war, so half doch
auch das Nachbarland Frankreich kräftig mit, das österreichische Joch abzuschüt-
teln, obgleich dort der Klerus — derselbe Klerus — eben unterdrückt worden

!) Vgl. w. u. Schlösser.
 
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