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Rußland

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g) Rußland

Noch weniger als in Spanien ist es möglich, inRußland nationaleigentüm-
liche Noten der klassizistischen Baukunst zu finden. Dort bestimmen die italie-
nischen Klassiker, vor allem der große Vicentiner, und die französischen Akademiker
fast einzig und allein das Kolorit der ganzen Architektur.

Wissenschaften und Künste hatten zur Regierungszeit der Kaiserin Katha-
rina II. (1762—96) — fast im umgekehrten Verhältnisse zur Moral des Hofes —
einen großen Aufschwung genommen, freilich waren, mit Ausnahme etwa der
Literatur, wo sich nationale Triebe zeigten, die führenden Geister Ausländer. Es
ist klar, daß auf solcheWeise ein Eindringen der Kunst auch nur in die wenigen
höher gebildeten Volksschichten kaum möglich war, und so sind auch die archi-
tektonischen Schöpfungen in Petersburg, Zarskoje Selo, Moskau nur mehr oder
minder gut gelungene Kompositionen aus italienisch-palladianischen und pariserisch-
akademischen Arbeiten.

„Ihrer Entstehungszeit gemäß“, sagt Ebe, „zeigen diese Bauten einen be-
stimmten schablonenartigen Zuschnitt nach klassischem Geschmack, aber ohne
besondere Originalität. Unabänderlich kommt ein Unterbau in Rustika zur An-
wendung, dartiber zwei Stockwerke von gleicher Höhe mit einem Portikus als
Mittelbau von 6, 8 oder 12 Säulen auf Stylobaten und durch beide Geschosse
reichend. Die Flügelbauten haben meist nur eine Fensterarchitektur und an den
Ecken Portiken mit zwei Säulen weniger als die Mitte. Das Resultat dieses
Rezepts ist immer effektvoll auf den ersten Blick, wirkt aber in der Wiederholung
ermüdend.“ Diese Kritik ist freilich durchaus einseitig — denn abgesehen von
dem tatsächlich an fast allen Gebäuden vorhandenen Rustikaunterbau dtirfte sie
auf nur einzelne größere Wohngebäude (Paläste, Hotels) oder Verwaltungsgebäude
anzuwenden sein — immerhin ermiidet tatsächlich das Schema renaissancistischer
Formanwendung vor allem an den größeren, in ihren Fronten schier endlosen
Gebäuden, wie der Akademie, dem Institut Katerina, oder der Admiralität.

Von den bedeutenden Architekten, die in Petersburg zur Zeit Katharinas II.
und Pauls I. geschafft haben, ist in erster Linie (der schon unter Abschnitt Italien
S. 8 erwähnte) Giacomo Quarenghi (1744—1817) zu nennen. Dieser war in Rom
ein Schüler des Raffael Mengs gewesen, hatte später auch unter dem Maler Stefano
Pozzi gearbeitet und war schließlich zur Architektur übergetreten, wo er sich so-
wohl autodidaktisch im Hinblick auf Palladio, als auch unter Anleitung der Archi-
tekten Paolo Posi, Dorizet und Niccolö Giansimo (des Erbauers des Pal. Bolognetti
in Rom) ausbildete.

Quarenghis Arbeitskraft muß, der Menge seiner Schöpfungen nach zu ur-
teilen, eine ungeheure gewesen sein; abgesehen von seinen eigentlichen Haupt-
werken wurden noch nach seinen Zeichnungen in München, Wien und London
Gebäude ausgeführt. In St. Petersburg schuf er vor allem: das Gebäude des
Generalstabs, das Theater der Eremitage, die Gemäldegalerie, die Bank, das
Institut Katerina und die Reitbahn ftir die Garden, das letztere in neuklassischem
Stil, in Peterhof ist von ihm der Pavillon im Englischen Garten, in Moskau die
Treppe des kaiserlichen Palastes, in Zarskoje Selo das Badegebäude, nach dem
Vorbild der römischen Thermen, und die Kapelle des Maltheserordens.

Im Jahre 1779 kam Ludwig Philipp Tisclibein nach Petersburg und baute
dort (1784) das Neue Theater. Dieses wurde 1805 von Thomas de Thomon
(Thomond) vergrößert und im Innern ausgeschmtickt. 1) Thomon hatte um 1780
in Paris studiert und war wohl durch Ghalgrins hellenisierende Klassik in große

^) 1837 von Cabos gänzlich umgebaut.
 
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