Das Kirchen-Innere — Theaterhau
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Feind, der den Klassizismus über den Haufen stach, sondern nur
eine Spielart, und zwar die deutsche, die nun nach den Frei-
heitskriegen den Hellenismus zum „Gotizismus“, denSaulus zum
Paulus zu verwandeln sich Mühe gah.
Es erhellt auch hieraus wieder, wie wenig tief die Formen in das Wesen
eingedrungen, wie der Kirchenbau des Klassizismus eben ein so ganz, ganz
äußerlich-geformter gewesen war. 1)
b) Theaterbau
Die Zeit der Aufklärung stellte der Kirche das Theater gegeniiber. Auch
hier trat Paris-Frankreich an erste Stelle. 2)
„Das Ende des 18. Jahrhunderts sah den Geschmack arn Theater sich über
alle Gesellschaftsklassen verbreiten, und schon genügten kaum die drei großen
Pariser Theater, als ein Dekret vom 13. Januar 1791 jedem die Freiheit gab,
Bühnensäle zu eröffnen. Da wurden denn in wenig Jahren in Paris allein an
dreißig solcher Säle aufgetan, und auch die kleinste Stadt der Provinz hatte
einen. Das war ein Skandal, der erst mit der Rückkehr der Ordnung aufhörte.
Nun wurde die Zahl der Theater beschränkt und in der Folge nur diejenigen
erhalten, die die schönsten und bestgelegenen waren.“ 3)
Der Geist der Revolution der Stadt Paris gegen Versailles schon zur Rokoko-
zeit konnte in der öffentlichen Kirche nicht ungestraft, wohl aber zunächst in
jenen „Salons“ blühen, die in Form von eleganter, vielfach gebundener und ge-
reimter Prosa mit dem Althergebrachten brachen und Bestehendes geißelten.
Schon in den letzten Jahren Ludwigs XIV. stand die französische Literatur in
einem wenngleich auch nur heimlichen Gegensatz zum Hofe und zu der heuchle-
rischen Maske, die Frau von Maintenon ihn anzulegen gezwungen. Langsam
fing die Literatur an, sich dem Protektorate des Königs zu entziehen. Von ihrer
höfisch-glänzenden Höhe blickte sie in die Tiefe und sah dort, nicht ohne Er-
staunen, eine wimmelnde, bewegte Menge, die von ihr Anregung, Belehrung und
Unterhaltung forderte. Von Jahr zu Jahr drängte die Teilnahmlosigkeit, die Ver-
achtung, die despotische Härte, mit der man den Dichtern und Künstlern inVer-
sailles begegnete, diese mehr und mehr der großen Masse entgegen, in der Fürst
und Edelmann, Beamter und Akademiker, Generalpächter und Handschuhmacher
zum „Publikum“ sich verschmolzen. Es wurde damit für die Schriftsteller
sowohl rühmlicher als vorteilhafter, der bestehenden Unordnung und Verkommen-
heit in Kirche und Staat offen gegenüberzutreten. In der Akademie führten Vol-
9 Daß zu Zeiten des Wiederauflebens des christlichen (mythischen) Glauhens der
„Biedermeierstil“ es zu starken Persönlichkeiten gebracht hat, heweisen die Arndt, Krum-
macher, Simrock, Spitta, Diepenbrock und Droste-Hiilshoff, deren Lieder weniger senti-
mental als kraftvoll-persönlich anmuten, ob nun aus der Seele heraus oder aus der Ge-
schichte heraus gedichtet worden ist- Solch Geist kann auf allen sozialen Gehieten der
Geist des Aufwachens genannt werden, mit dem der Geist des Aufmerkens auf
das, „was die Objekte wirklich zeigen“, Hand in Hand ging, während his dahin nur das
Erlernte (das Wissen) ein Scheinleben fristete.
2) Die italienischen Theater, z. B. das Teatro olympico in Vicenza (Palladio) und
das Teatro Farnese in Parma, hliihten zwar schon zur Renaissancezeit in Italien, sie hahen
jedoch nicht den Kulturwert, den ihnen der Klassizismus zwei Jahrhunderte später gah,
sondern sind mehr dem Trieb genial-persönlicher Architekturideen entwachsen und spielen
mitunter viel ins Kirchliche hinein (Bibiena).
3) Vgl. Donnet, Architectonographie des theätres.
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Feind, der den Klassizismus über den Haufen stach, sondern nur
eine Spielart, und zwar die deutsche, die nun nach den Frei-
heitskriegen den Hellenismus zum „Gotizismus“, denSaulus zum
Paulus zu verwandeln sich Mühe gah.
Es erhellt auch hieraus wieder, wie wenig tief die Formen in das Wesen
eingedrungen, wie der Kirchenbau des Klassizismus eben ein so ganz, ganz
äußerlich-geformter gewesen war. 1)
b) Theaterbau
Die Zeit der Aufklärung stellte der Kirche das Theater gegeniiber. Auch
hier trat Paris-Frankreich an erste Stelle. 2)
„Das Ende des 18. Jahrhunderts sah den Geschmack arn Theater sich über
alle Gesellschaftsklassen verbreiten, und schon genügten kaum die drei großen
Pariser Theater, als ein Dekret vom 13. Januar 1791 jedem die Freiheit gab,
Bühnensäle zu eröffnen. Da wurden denn in wenig Jahren in Paris allein an
dreißig solcher Säle aufgetan, und auch die kleinste Stadt der Provinz hatte
einen. Das war ein Skandal, der erst mit der Rückkehr der Ordnung aufhörte.
Nun wurde die Zahl der Theater beschränkt und in der Folge nur diejenigen
erhalten, die die schönsten und bestgelegenen waren.“ 3)
Der Geist der Revolution der Stadt Paris gegen Versailles schon zur Rokoko-
zeit konnte in der öffentlichen Kirche nicht ungestraft, wohl aber zunächst in
jenen „Salons“ blühen, die in Form von eleganter, vielfach gebundener und ge-
reimter Prosa mit dem Althergebrachten brachen und Bestehendes geißelten.
Schon in den letzten Jahren Ludwigs XIV. stand die französische Literatur in
einem wenngleich auch nur heimlichen Gegensatz zum Hofe und zu der heuchle-
rischen Maske, die Frau von Maintenon ihn anzulegen gezwungen. Langsam
fing die Literatur an, sich dem Protektorate des Königs zu entziehen. Von ihrer
höfisch-glänzenden Höhe blickte sie in die Tiefe und sah dort, nicht ohne Er-
staunen, eine wimmelnde, bewegte Menge, die von ihr Anregung, Belehrung und
Unterhaltung forderte. Von Jahr zu Jahr drängte die Teilnahmlosigkeit, die Ver-
achtung, die despotische Härte, mit der man den Dichtern und Künstlern inVer-
sailles begegnete, diese mehr und mehr der großen Masse entgegen, in der Fürst
und Edelmann, Beamter und Akademiker, Generalpächter und Handschuhmacher
zum „Publikum“ sich verschmolzen. Es wurde damit für die Schriftsteller
sowohl rühmlicher als vorteilhafter, der bestehenden Unordnung und Verkommen-
heit in Kirche und Staat offen gegenüberzutreten. In der Akademie führten Vol-
9 Daß zu Zeiten des Wiederauflebens des christlichen (mythischen) Glauhens der
„Biedermeierstil“ es zu starken Persönlichkeiten gebracht hat, heweisen die Arndt, Krum-
macher, Simrock, Spitta, Diepenbrock und Droste-Hiilshoff, deren Lieder weniger senti-
mental als kraftvoll-persönlich anmuten, ob nun aus der Seele heraus oder aus der Ge-
schichte heraus gedichtet worden ist- Solch Geist kann auf allen sozialen Gehieten der
Geist des Aufwachens genannt werden, mit dem der Geist des Aufmerkens auf
das, „was die Objekte wirklich zeigen“, Hand in Hand ging, während his dahin nur das
Erlernte (das Wissen) ein Scheinleben fristete.
2) Die italienischen Theater, z. B. das Teatro olympico in Vicenza (Palladio) und
das Teatro Farnese in Parma, hliihten zwar schon zur Renaissancezeit in Italien, sie hahen
jedoch nicht den Kulturwert, den ihnen der Klassizismus zwei Jahrhunderte später gah,
sondern sind mehr dem Trieb genial-persönlicher Architekturideen entwachsen und spielen
mitunter viel ins Kirchliche hinein (Bibiena).
3) Vgl. Donnet, Architectonographie des theätres.