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Spanien

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wurde, bemächtigte sich die Gotik des Kleingewerbes in fruchtbarster Weise. Die
konstruktive Seele, die der gotischen Architektur innewohnt, fand sich schon seit
der Mitte des 18. Jahrhunderts in manchem Hausgerät wieder, freilich paarte sie
sich vielfach mit dem Rokokoschnörkel, das dem französischen Kunstwerk abgeguckt
war, oder aber gar mit chinesisch-holländischen Bizarrerien.

Von Thomas Chippendale erschien 1754 ein Werk, das in den Entwürfen eine
starke Abhängigkeit vom Rokokostil zeigte. James und Robert Adams Entwürfe
(1773) gehen auf römisch-klassische Vorbilder zurück. Erst Thomas Sheraton zeigt
(1792) in seinen Arbeiten einen ansprechend ldaren Möbelstil, bei dem „das
Streben nach Zweckmäßigkeit und klarem Aufhau“ (Brinckmann) anzuerkennen
ist. Hält man neben die guten — wenn auch dekorativ armen (aber eben deshalb
wohl guten) — Möhelentwürfe diejenigen der großen Architektur, dann wird die
starke und zugleich die schwache Seite der englischen Kunstseele klar: da, wo
technische Schwierigkeiten zu lösen sind, wird vorbildlich Gutes erreicht, da, wo
die Dekoration und die reine Harmonie der Verhältnisse in Frage kommen, versagt
meist der Engländer.

Man muß da am Ende Nietzsche recht geben, der vom Engländer sagt:
„Er hat in den Bewegungen seiner Seele und seines Leibes keinen Takt und Tanz,
ja, noch nicht einmal die Begierde nach Takt und Tanz, nach Musik“ (Jens.
von Gut und Böse).

f) Spanien

Die klassizistische Baukunst Spaniens läßt nur wenig den nationalen Geist
des Landes zum Durchbruch kommen. Sie lieftet sich an einige große Namen,
wie Ventura Rodriguez (1730—85) und Francisco Sabatini (1722—97), sowie, ähn-
lich wie in Frankreich, an die Gründung der Akademien in Madrid (1752) und
in Valencia (1753) und nach Abdankung des schwächlichen Fernando VI. an die
Regierung von Carlos III., ihre Werke muten aber alle entweder italienisch oder
französisch an. Die Kunstwissenschaft, die vor allem in der ersten Hälfte des
18. Jahrhunderts inVitruv- und Vignolatibersetzungen und allerlei bautheoretischen
Schriften nach deutschen Mustern bestand, ging Hand in Hand mit den strengen
Gesetzen der Akademien, nach denen „kein öffentlicher Bau mehr begonnen
werden durfte, bevor die Pläne dazu von der Akademie geprüft und gebilligt
seien“ x), und so mußte, ähnlich wie in den andern europäischen Ländern, ein ge-
wisses baukiinstlerisches Niveau entstehen, das nur selten und wenig bedeutend
durchbrochen wurde.

Zu den bedeutendsten, arbeitsamsten und erfolgreichsten Architekten, die
das Niveau der Akademie von San Fernando in hervorragendster Weise über-
schritten, gehört in erster Linie Ventura Rodriguez. Er überschritt die ihm von
der Akademie gesteckten Grenzen und rang sich aus dem vitruvianischen Barock,
„dem auch churriguereske Anklänge nicht fehlten“, zu groß empfundener klassi-
zistischer Einfachheit durch. Als Juvara nach Madrid kam, stellte er den Rodri-
guez als Zeichner für den neuen Madrider Palast an, nach Juvaras Tode wurde
er als Bauleiter beim Schlosse Sacchetis „rechte Hand“. 1752 wurde er erster
Lehrer an der neu gegründeten Akademie von San Fernando. Sein Verdienst ist,
daß er vom zeitgenössischen Barock zurtickgriff auf die spanisch-nationale Kunst
eines Herrera und diese in klassisch strenger Weise in großen Werken pflegte,
daß er also sich von der barock-klassizistisch-ausländischen Kunst losmachte —

x) 0. Schubert, Geschichte cles Baroclc in Spanien.
 
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