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I. Name und Begriff des Klassizismus

Es ist nach und nach allgemeiner Brauch geworden, mit dem Namen Klassi-
zismus das geistige Leben zu bezeichnen, das als Rückschlag auf das Barock in
Europa im 18. Jahrhundert einsetzte und bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts
anhielt, wo es von der sogenannten Romantik abgelöst wurde.

DerBegriff des Klassizismus aber ist ein viel weiterer! Er gilt in Europa
schon für die Römerkunst, die ja hellenische Formen adoptierte — er streift aber
auch hiniiber auf die Gotik und lebt dann in der Romantik um die Mitte des
19. Jahrhunderts wieder auf. Er ist, allgemein gesagt, weiter nichts als ein schul-
haftes Vorkehren eines als klassisch anerkannten Dogmas, sei es als Gegendruck
auf allzufreies Schalten mit Kunstformen (Barock), sei es als Folge eines Sich-
versenkens in lang vergangene Zeiten (Romantik).

Je stärker und gewaltiger nun die Klassik, der das „Dogma“ entsprossen
ist, war, desto anhaltender wird das Daraufzurückkommen, der Klassizismus
sein, nach dem das übersprudelnde Barock mit seinen wunderlich-individualisti-
schen Erscheinungen verpufft ist. Ja, es ist in solchem Falle sogar möglich, daß
der Klassizismus, einerseits durch den Reichtum des tiberkommenen Erbes, andrer-
seits durch den Druck der Kultur, der Zeit, der Geschichte, gar zum Selbst-
schöpfer, gar zum Klassiker gemacht wird, wofern nur Aufgaben da sind, die
die ererbten Formen zu neuen Schöpfungen umzuprägen zwingen.

So ein Klassizismus ist ja die Renaissance gewesen. Auch sie war im
Grunde doch ein Zurückgreifen auf die Alten und ihre Kunst. Die Kulturaufgaben
aber, die von ihr zu lösen waren, waren so weit von denen der alten Griechen-
und Römerkunst verschieden, daß es diesem „Klassizismus“ doch möglich werden
mußte, ein klassischer Stil zu werden — ein so gewaltig lebendiger klassi-
scher Stil, daß ihm das mächtigste Barock entwachsen konnte, und daß auf dieses
wieder ein Rückschlag folgte, der eben in diesen Zeilen, als der Klassizismus
„an sich“, betrachtet werden soll.

Wir sehen also: im Grunde kommt es auf die Aufgabe an, die die Kultur
an den Stil stellt, damit dieser Stil, der erst Nachahmer war, Selbstschöpfer wird.

Nun ist es das Lebensfähige an der Kultur, daß sie vermag, immer neue
und neue und immer mehr und mehr differenzierte Aufgaben zu stellen. Die
Griechen haben als vornehmste Kulturaufgabe den Tempelbau erhalten, sie haben
aus den ihnen zur Bearbeitung dieser Aufgabe mitgegebenen Hilfsmitteln, wie
Sonne, blauem Himmel, Marmor und Edelmetallen eine Lösung geschaffen, welche
ihnen die Note „klassisch“ eintrug. Den Römern wurde eine andere Aufgabe zu-
gedacht. Ihrer Kultur war der Begriff der Gottheit schon mehr Äußerlichkeit,
ihrer kriegerischen Volkseigenart, ihrer Rassenart diente die eingeführte hellenische
Tempelkunst nur mehr als Hülle. Und deshalb ist auch in allen jenen Bauten
der römischen Baukunst, die mit denen der Griechenkultur verwandt waren, nur
das klassizistische Moment zu erkennen, während wir Gelegenheit zu klas-

Klopfer, Von Palladio bis Schinkel 1
 
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