Der Wohnliausbau
141
g) Der Wohnhausbau
Das freistehende Wohnhaus (Schloß, Schlößchen, maison de plaisance, Landhaus, Villa)
Bei der Betrachtung des Wohnhausbaues des Klassizismus ergibt sich
folgende Zweiteilung: erstens die Anlage freistehender Wohnhäuser und zweitens
die Anlage eingebauter Wohnhäuser. In die erste, größere und architektonisch
reichere Gruppe gehören vor allem die Schlösser undVillen. 1) Die Befreiung
aus dem Zwange der mittelalterlichen Festungsform, etwa im Anfang des 17. Jahr-
hunderts, wie die Ausbildung des Schlosses zu immer heiterern, bewegteren Um-
rissen, ist von Itaiien ausgegangen. Aus dieser Quelle haben alle europäischen
Nachbarländer geschöpft. Aber nicht der italienische Schloßbau, mit seinen
Fluchten und langen Gängen oder der Palastbau, der sich um einen großen Hof
schioß, war diesen Ländern vorbildlich für ihr Schaffen, sondern mehr die frei-
stehende Villa, mit ihren Gartenanlagen, der Landsitz vor der Stadt, der
fröhlichem Sommeraufenthalt zu dienen hatte. Wie ein Rückschlag mutet diese
Sucht nach Ausdehnung, Freiheit, Öffnen des Hauses gegenüber dem Zwange
an, den bisher das Leben in dem alten Renaissanceschloß ausübte. Zwar wurden
auch in jenen Machtbauten Gärten angelegt, mit Hallen und Gartenhäuschen,
aber das Band der umgebenden Mauer mit dem Wassergraben ließ nur enge
gezirkelte Anlagen zu. 2)
Die italienische Renaissance — so weit müssen wir zurückgehen, um
die Gestaltungsformen des klassizistischen Schloßbaues in ihrer Entwicklung
begründen und verstehen zu können — verdankt ihre großen Schöpfungen dem
Streben nach einem ästhetisch vollkommenen Ideal. Solche Idealarchitektur, die
in der Harmonie der Räume und ihrer Abmessungen, sowie ihrer praktischen Be-
ziehungen zu einander besteht, die nicht in subjektiver Befriedigung der Lebens-
bedürfnisse — wie etwa die nordische Baukunst in erster Linie notwendigerweise
pflegen mußte — ihr Ziel erreicht sieht, konnte in Italien auch eher verwirklicht
werden als in den nordischen Ländern. Die Werke eines Alberti, Bramante und
später auch das Schaffen von Michelangelo und Palladio beruhen mehr oder
minder alle auf der Absicht, ihren Raumideen eine Form zu geben, nur im Sinne
des ihnen vorschwebenden Ideals. 3) Die poetische Seite der italienischen
Renaissance war es, die, als Reis fremdländischen Bauideen aufgepfropft, die
Renaissancen in Frankreich, England und Deutschland zeitigen sollte.
Frankreich
Der französische Klassizismus ist aus der französischen Renais-
sance hervorgegangen. Der Schloßbau, den die De l'Orme und Du Cerceau
noch als Idealbau auf dem Papiere, den Lemercier in der Anlage des Schlosses
zu Poitou fiir Richelieu zum erstenmal in wahrhaft bedeutenden Abmessungen
gebracht haben, mit der ganzen Großartigkeit weitschweifiger Gartenanlagen,
dieser Schloßbau klärte sich in Frangois Mansart (1598—1666) zu jenem klassi-
zistischen Stile ab, der von nun an Frankreich beherrschen sollte, wenngleich
ihn das Wogen der Barock- und Rokokorichtung zeitweilig umbrausen mochten.
!) Der Begriff Villa bezielit sich im eigentlichen Sinne des Wortes auf ein Land-
gut, das Haus darin wird Casino genannt.
2) Vgl. Jacques Androuet Du Cerceau: Les plus excellents bastiments de France.
Paris 1579.
3) Dr. H. Baron v. Geymliller i. Handb. der Arch. II, VI. G. erinnert hierbei an
l’art pour l’art.
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g) Der Wohnhausbau
Das freistehende Wohnhaus (Schloß, Schlößchen, maison de plaisance, Landhaus, Villa)
Bei der Betrachtung des Wohnhausbaues des Klassizismus ergibt sich
folgende Zweiteilung: erstens die Anlage freistehender Wohnhäuser und zweitens
die Anlage eingebauter Wohnhäuser. In die erste, größere und architektonisch
reichere Gruppe gehören vor allem die Schlösser undVillen. 1) Die Befreiung
aus dem Zwange der mittelalterlichen Festungsform, etwa im Anfang des 17. Jahr-
hunderts, wie die Ausbildung des Schlosses zu immer heiterern, bewegteren Um-
rissen, ist von Itaiien ausgegangen. Aus dieser Quelle haben alle europäischen
Nachbarländer geschöpft. Aber nicht der italienische Schloßbau, mit seinen
Fluchten und langen Gängen oder der Palastbau, der sich um einen großen Hof
schioß, war diesen Ländern vorbildlich für ihr Schaffen, sondern mehr die frei-
stehende Villa, mit ihren Gartenanlagen, der Landsitz vor der Stadt, der
fröhlichem Sommeraufenthalt zu dienen hatte. Wie ein Rückschlag mutet diese
Sucht nach Ausdehnung, Freiheit, Öffnen des Hauses gegenüber dem Zwange
an, den bisher das Leben in dem alten Renaissanceschloß ausübte. Zwar wurden
auch in jenen Machtbauten Gärten angelegt, mit Hallen und Gartenhäuschen,
aber das Band der umgebenden Mauer mit dem Wassergraben ließ nur enge
gezirkelte Anlagen zu. 2)
Die italienische Renaissance — so weit müssen wir zurückgehen, um
die Gestaltungsformen des klassizistischen Schloßbaues in ihrer Entwicklung
begründen und verstehen zu können — verdankt ihre großen Schöpfungen dem
Streben nach einem ästhetisch vollkommenen Ideal. Solche Idealarchitektur, die
in der Harmonie der Räume und ihrer Abmessungen, sowie ihrer praktischen Be-
ziehungen zu einander besteht, die nicht in subjektiver Befriedigung der Lebens-
bedürfnisse — wie etwa die nordische Baukunst in erster Linie notwendigerweise
pflegen mußte — ihr Ziel erreicht sieht, konnte in Italien auch eher verwirklicht
werden als in den nordischen Ländern. Die Werke eines Alberti, Bramante und
später auch das Schaffen von Michelangelo und Palladio beruhen mehr oder
minder alle auf der Absicht, ihren Raumideen eine Form zu geben, nur im Sinne
des ihnen vorschwebenden Ideals. 3) Die poetische Seite der italienischen
Renaissance war es, die, als Reis fremdländischen Bauideen aufgepfropft, die
Renaissancen in Frankreich, England und Deutschland zeitigen sollte.
Frankreich
Der französische Klassizismus ist aus der französischen Renais-
sance hervorgegangen. Der Schloßbau, den die De l'Orme und Du Cerceau
noch als Idealbau auf dem Papiere, den Lemercier in der Anlage des Schlosses
zu Poitou fiir Richelieu zum erstenmal in wahrhaft bedeutenden Abmessungen
gebracht haben, mit der ganzen Großartigkeit weitschweifiger Gartenanlagen,
dieser Schloßbau klärte sich in Frangois Mansart (1598—1666) zu jenem klassi-
zistischen Stile ab, der von nun an Frankreich beherrschen sollte, wenngleich
ihn das Wogen der Barock- und Rokokorichtung zeitweilig umbrausen mochten.
!) Der Begriff Villa bezielit sich im eigentlichen Sinne des Wortes auf ein Land-
gut, das Haus darin wird Casino genannt.
2) Vgl. Jacques Androuet Du Cerceau: Les plus excellents bastiments de France.
Paris 1579.
3) Dr. H. Baron v. Geymliller i. Handb. der Arch. II, VI. G. erinnert hierbei an
l’art pour l’art.