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Deutschland

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wird heute leider durch das aufgesetzte Geschoß gestört. Der Rhythmus, welcher
die durch korinthische Pilaster gefaßten beiden unteren Geschosse bewältigt, ist
ungemein streng empfunden und erinnert so stark an Inigo Jones. Bemerkens-
wert ist auch die Klarheit, mit der das Innere dem Äußern entspricht. Auf Jacob
von Kempen folgte Pieter Port (1608—69), der, barockisierend, das Rathaus zu
Maastricht baute, und Phil. Vingboons mit dem Treppenhuis in Amsterdam, der
— auch literarisch — den antikisierenden Klassizismus in Holland einbürgert.
ln diesem Stile schaffen gegen Ende des 18. Jahrhunderts J. Ilushj (s 1795) im
Stadthaus zu Weesp und Gröningen und im Gesellschaftshaus Felix meritis in
Amsterdam, und Jan Davicl Zocher (um 1790) in der Börse in Amsterdam, deren
Stil ganz im Sinne der Dorik zum reinen Architravstil gemacht wird. Zocher ist
außer durch den genannten Bau noch bekannt geworden durch seine Gartenanlagen
in Haarlem, Soesdyck und Utrecht, die durch und durch den englischen Garten-
stil zeigen. Zochers Bruder Karel baute die katholische Kirche in Utrecht.

d) Deutschland

Deutschlands Baukunst machte wie Flolland den ersten Schritt zum Klassizis-
mus in protestantischem Geiste. Die Aufhebung des Ediktes von Nantes (1685)
hatte den größten Teil des hugenottisch-französischen Volkes aus dem Lande
getrieben. An fünfmal hunderttausend Seelen waren damals nach Holland und
England und Amerika, nach der Schweiz und vor allem nach Deutschland (Rhein-
pfalz, Hessen, Brandenburg) gekommen. Was sie an geistigem Gute mitbrachten,
trug auf Jahrhunderte hinaus seine Früchte. Zwar war es im Grunde französisches
Gut, und zwar im engsten Sinne desWortes: französisch-völkisches Gut, was sie
ins Ausland trugen — und war doch so verwandt demselben protestantischen
Geiste, dem sie das Ihre in Deutschland brüderlich mitteilten, daß es auch gut
deutsch werden konnte.

Der hugenottischen Schule verdankt Deutschland im wesentlichen jenen Stil,
der der „Rokoko-klassische“ genannt wird x), und der trotz der barockisierenden
Beweglichkeit im Grundriß wie in der Fassade den ersten Schritt tat aus dem
Barock zum Klassizismus. Longuelune, De Bodt, Du Ry, Gontard, Guvillies sind
Namen, die in der Geschichte der deutschen Baukunst glänzen und deren Träger
zum Teil als Lehrer ein wahrhaft großes Wirken zu verzeichnen gehabt haben.

Erst Joh. Joachim Winkelmann (1717—68) brachte in dieses Wirken eine
neue Strömung. Sein Hinweis auf die Antike und die in ihr enthaltene ewig
lebendige Kunst-Idee ging nicht über Palladio und Vitruv hinweg, sondern un-
mittelbar in das Reich der Klassik. Zunächst nach Rom, und dort zunächst
in das Jahrhunderte durch aufgestapelte Schatzlager der Skulpturen. Der Weg
des Architekten führte nun zwar auch nach Rom, doch zumeist noch über
Paris, das eben als Schule seinen großen Namen behielt. Somit hat Winkelmann
fiir die Baukunst zunächst und unmittelbar nur wenig Bedeutung. Aber er ver-
körpert im ganzen doch die große, dem Deutschen unbewußt eingeborene Idee
von der Klassik, die Sehnsucht schließlich nach dem Hellenismus, nach seiner
Formenkeuschheit und seiner Formeneinheit. Vorerst blieb freilich noch die Schule
eines Zacharias Longuelune (1669—1748) mit ihren palladianisch-klassizistisch,
Mansart-pariserisch beeinssußten Neigungen * 2) im Lande Winkelmanns die Quelle,
aus der sich nach und nach erst eine antikisierend klassizistische Architektur-
strömung entwickeln sollte.

9 Vgl. Schumann, Barock, Rokoko uncl Zopf.

2) Vgl. Frankreich.

Klopfer, Yon Palladio bis Schinkel

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