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DER NEUE TEMPEL IN LOCIII

In dem Reliefbande wechseln Palmetten und Lotosblüten (daran
rote Farbspuren), deren Schema Petersen einzureihen versucht
hat. Das nur durch einige Bruchstücke bekannte Capitell
wiederholte etwa den an dem alten Artemision von Ephesos
verwendeten Typus, den dann im fünften Jahrhundert Mnesikles
so wunderbar gestaltet hat: es hatte ein grofses ionisches
Kymation (bei Petersen 193 in Fig. 10). dessen breite Blätter
wie mit einem Rundstab umrändert sind, und Voluten (dem-
entsprechend auch clor ganze Canal zu ergänzen) von convexem
Querschnitt mit einer einzigen rundstabartigen Spirallinie, die
oben an den ebenen Saum hart eckig ansetzt; eine Rosette
bildet das Auge. Das Polster, ohne balteus, ist mit plastischen
Schuppenblättern verziert; den Zwickel darüber füllt ein Eier-
stabkymation (vgl. Petersen 198,1 und mehrere kleine Capitelle
aus Selinus), wie es sonst den Abacus ringsum zu zieren pflegt;
aber hier fehlt ein besonderer Abacus.

Vom Epistyl hat sich ein schönes Stück gefunden; danach
war es zweireihig, und das erhaltene Stück mit 2 Fascien und
lesbischem Kymation oben stammt von der inneren Reihe.
Am Fascienrande sitzt ein plastischer Astragal mit kugel-
förmigen Perlen; an der rechten Stofsfuge ein quadratisches
sehr tiefes Loch, oben —i - Klammer. Das Kymation ist streng
mit stumpfwinkligen Blattenden an den breiten Blättern. Abge-
brochene Stücke dieses Kymation hat Petersen 199 zu dem
Antencapitell gerechnet, dessen mit einem Astragal und mit
freierem Anthemiengeschlinge verzierter Hals von ihm S. 195
abgebildet ist, und einen anderen antencapitellartigen Block
mit glattem Kymation beschreibt er S. 200.

Vom Fries ist nichts vorhanden, vom Zahnschnitt mehrfach
die ll'/a cm breiten Zähne mit zarter Fase. Auch vom Geison ist
ein Stück mit flacher Unterschneidung und zarter Nase erhalten.

Die steinerne Sima (Petersen 200 f.) von der Traut- wie
von der Giebelseite zeigt die bekannte einfache Form: unten
eine vertikale Fläche, darüber das verschwommene Kymation
mit Platte oben. An einem Stück in Locri safs auf der verti-
calen Fläche der Rest einer Reliefverzierung.

Auch die Dachdeckimg bestand aus Stein. Die Ziegel haben
den viertelruudstabartigen Rand und sind unten dicker als oben,
so dass die Unterseite eine continuierliche Fläche bildet (vgl. den
Tempel A in Selinus); an einem dieser Ziegel ist ein rundes
Nagelloch im Rand erhalten. Deckziegel haben wir nicht bemerkt.
Fragmente thönerner Dachziegel werden wie gewöhnlich den
späteren Ausbesserungen angehören. Reste von Firstakroterien
{a jour gearbeitete Palmette) erwähnt Petersen 201 und 209.

Aufser diesen rein architektonischen Fragmenten vom Ober-
bau sind auch einige Marmorseulpturen gefunden worden, die
dem Anschein nach dazu gehören,namentlich eine weibliche Figur,
zwei Gruppen, von denen jede einen von seinem Pferde herabglei-
tenden Jüngling (einen Dioskuren) darstellt; das Pferd sich bäu-
mend wird von einem Triton übers Meer getragen. Petersen hat
die Gruppen eingehend besprochen und als Teile einer Giebelcom-
position zu erweisen versucht (vgl. Ant. Denkm. I Taf. 52), jetzt
sind sie im Neapeler Museum ergänzt zusammengestellt und
dort wirken sie in überzeugender AVeiso als Akroterien (vgl.
etwa Roulez, Choix de vases pl. L9,l und die Nereide aus Epi-
dauros, Athen. Mitth. XIX 1894, Taf. 6). Sie waren unten in eine
Plintho eingelassen und dieser Umstand, der charakteristische
Aufbau und die absolute symmetrische Entsprechung lassen die
beiden Gruppen für Seitenakroterien sehr geeignet erscheinen.
Bei der Einzelfigur kann man an ein Mittelakroterion denken,

da der Marmor am unteren Teil hinten 2 gerade für die Ver-
ankerung des Mittelakroterion geeignete Löcher hat. Die Fund-
stelle an der Mitte der Nordseite würde nicht dagegen sprechen.
Wie Petersen selbst bemerkt, lag das Bildwerk nicht mehr in
der Falllage, aber ebenso wenig stichhaltig sind dann auch die
Fundstellen der Seitenakroterien, von denen die nach rechts
gewandte Gruppe vor der Mitte, die nach links gewandte süd-
lich vor der Westfront gefunden ist, während jene ihrem Aufbau
nach auf die Südecke, diese auf die Nordecke gehört.

Doch die Entscheidung hierüber geht zum Teil schon über
den Rahmen unserer Aufgabe hinaus.

Für die Datierung des neuen Tempels stützt sich Petersen
auf die stilistische Analyse der Dioskurengruppe und setzt ihn
„eher vor als nach 420 v. Chr.", während er bei den Formen
der Basis und des Capitells mehr „an ziemlich frühe Zeit"
denkt, „ehe noch die verschiedenen Arten ionischer Weise feste
Geltung erlangten". Orsi betont dagegen die Aehnlichkeiten in
der Säulendecoration mit dem Erechtheion und rückt den Tempel
bis auf die Zeit um 400 v. Chr. herab.

Er ist nach sämtlichen Einzelheiten der Formen sowie nach
dem einfacheren Grundriss jedenfalls älter als der um 400 v. Chr.
erbaute Tempel von Messa. Um ihn in die Reihe der dorischen
Tempel in Unteritalien und Sicilien einzuordnen, giebt es frei-
lich nur wenig Anhaltspunkte, im wesentlichen nur die absolute
bis in die Stereobatkrone hinabreichende Fugenconcordanz und
die stellt ihn auf eine Stufe mit den vollendetsten Bauten der
Blütezeit; man vergleiche etwa den sog. Tempel der Juno
Lacinia in Akragas.

Damit ist der Stil der Dioskurengruppe gewiss zu ver-
einigen, ob aber auch der Charakter der ionischen Zierformen,
namentlich des Capitells? Diese sind freilich sowohl wegen
ihres schlechten Zustandes als auch wegen des Mangels an ver-
gleichbaren monumentalen Resten aus Unteritalien und Sicilien
sowie aus dem Heimatlande von Locri selbst schwer zu beur-
teilen, und die kleinen altionischen hie und da im Westen ge-
fundenen Capitelle von Votivstelen u. dgl. sind, weil in den
Museen meistens schwer zugänglich, bisher noch nicht bearbeitet
worden. Den glatten Trochilus an der Basis von Locri wird
man nun nicht notwendig als archaisch auffassen müssen, aber
die Formen des Capitells und des Epistylkymation sind doch,
wie auch Petersen gesagt hat, archaisch, (nicht jedoch die des
Antencapitells) und mit dem Erechtheion nur unter der An-
nahme zusammenzustellen, dass ein Stil, den man in Athen
unbedenklich der Zeit vor den Perserkriegen zuschreiben würde,
im Westen seine Altertümlichkeit bis in die zweite Hälfte des
5. Jahrhunderts bewahrt hätte. Das ist aber für die Zeichnung
und Modellierung der Volute, für das Fehlen des Abacus, auch
für die Strenge der Anthemien am Hals des Säulenschaftes
nicht wahrscheinlich und deshalb ist wohl die Möglichkeit nicht
von der Hand zu weisen, dass diese Glieder von der Peri-
stase des alten Tempels, mindestens aus der ersten Hälfte des
5. Jahrhunderts herrühren. Einen wie bei der Basis speciell
samischen Ursprung des Capitelltypus hat Petersen nicht nach-
weisen können; die Anthemien am Schatte genügen dazu nicht
und auch Milet und Ephesos scheinen ähnliche Formen hinter-
lassen zu haben — jedenfalls ist der Peloponnes, von dem die
spätionischen Formen des Westens abhängen, ganz ausgeschlossen.
Wir müssen uns daher mit dem allgemeinen, nicht genauer zu
specialisierenden Resultat begnügen, dass der ionische Stil direkt
aus seiner kleinasiatischen Heimat nach Locri gekommen sei.
 
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