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DIE TEMPEL VON SELTNUS

zu belichten*). Später sind seine nicht immer sehr klaren Be-
richte, die meist hätten ausführlicher sein können, in den Notizie
degli scavi di antichitä comunicate alla R. Accademia dei Lincei,
Roma seit 1876, veröffentlicht worden (wir eitleren sie nach
der Separatausgabe, nicht nach dem Abdruck in den Atti della
R. Acc. d. Lincei, Memorie della classe di scienze morali sloriche e
filologiche). Was Cavallari in Selinus unternommen und entdeckt
hat, hat er schliel'slich selbst im Archivio storico siciliano n. s.
VIT 1883, 68 ff. erzählt; in dem dort beigegebenen Plane der
Akropolis, der nach den Grabungen von 1877 im April 1881
aufgenommen worden war, sind die topographischen Resultate
seiner Thätigkeit auf diesem Terrain dargestellt. Das ganze
Stadtgebiet bis zu den weitabgelegenen Nekropolen war schon
auf einer Karte im Bull. sie. V 1872 dargestellt worden.
Beide Aufnahmen hat Koldewey zu der zum ersten Mal in der
italienischen Uebersetzung von Holms Geschichte Siciliens,
Storia della Sicilia, Torino 1896, I Taf. IV erschienenen Karten-
skizze Tafel 29 benutzt. Wir werden bei der Besprechung der
einzelnen Tempel genauer ausführen, was Cavallari daran jedes-
mal durch seine Ausgrabung erreicht hatte. Es ist insgesamt
kurz folgendes: die Entdeckung der Propyläen bei Gaggera
und des Tempels 0 auf der Akropolis, die Aufräumung der
Ostfront und der Cella von D samt der Ausgrabung des Altars
vor D, die Ereilegung eines Teiles von A, des Adyton von E
und des Adyton von G, endlich die vollständige Freilegung
von C, seines Sturzgebietes und des nördlichen Teiles seines
Peribolos samt der Umgebung von B. Die bei C gefundenen
Dachterracotten hatten W. Dörpfeld und seine Genossen im
Frühjahr 1881 zu den wichtigen Beobachtungen Anlass ge-
gegeben, die sie in dem 41. Berliner Winckelmannsprogramm:
Ueber die Verwendung von Terrakotten am Geison und Dache
griechischer Bauwerke, von W. Dörpfeld, F. Graeber, R. Borr-
mann, K. Siebold, Berlin 1881, veröffentlicht haben.

Nach Cavallari war die technische Leitung der Ausgra-
bungen in Selinus G. Patricolo, die archäologische A. Salinas
übertragen worden; Salinas allein hat sie seit dem Winter
1891/92 übernommen (vergl. den summarischen Bericht Not.
1894, 202 ff). Die neue Leitung hat sieh eine umfassende und
methodische Untersuchung der ganzen Akropolis von Selinus
und des Heiligtums bei Gaggera zum Ziele gesetzt und vor
allem damit begonnen, das einmal sichtbarlich Vorhandene von
dem den Monumenten sehr gefährlichen Gestrüppe rein zu
halten und deren gegenwärtigen Zustand zu constatieren. Un-
geahnter Erfolg ist ihr zu teil geworden. An der Nordfront
der Akropolis hat sie mit grüfster Sorgfalt aus dem Sande und
aus dem Schutt jenes hermokrateische Befestigungssystem her-
ausgeschält, das selbst nicht vom Euryalos bei Syrakus über-
treffen wird und das, z. T. mit altem Material errichtet, die
wertvollsten Reste verschwundener Hauten geliefert hat. Was
die Tempel betrifft, so verdanken wir der systematischen In-
angriffnahme der grofsen Aufgabe namentlich die Entdeckung
der Cella bei Gaggera hinter den schon von Cavallari ausge-
grabenen Propyläen, ferner einige Tastungen in G, die Ver-
vollständigung der Freilegung von A und 0, endlich die Frei-
legung der Westfront von D.

*) Keine selbständige Bedeutung hat neben dem Bull. sie. die Relasione sullo staio
delle antichitä di Sicilia, sulle scoverte e sui rislauri fatti dal 186o al 1872 pel Dr. F. S.
Cavallari a. S. E. il ministro della istrzizione pubblica. Palermo 1872. 28 S. 8°. Auch nicht
[F. di Giovanni], Sui lavori intrapresi c sullc scoverte /alte negli antichi monumenti di
Sicilia dal giugno 1863 al luglio 1865. Brani di una relasione del Presidente della Com-
missione di Antichitä e Belle Arti al Ministero della Pubblica Islmzione.

Wir haben den grofsen Vorteil gehabt, von dem jetzigen
dank so viel mühseliger Arbeit unendlich viel besseren Zu-
stande der Ruinen (vgl. die photographischen Aufnahmen von
Nöhring, Aus dem class. Süden, Taf. 116 ff.) zu profitieren und
uns dabei der weitest gehenden Unterstützung seitens der Herren
Patricolo und Salinas zu erfreuen. Wir sprechen ihnen hier-
für auch öffentlich unseren lebhaft und tief empfundenen
Dank aus.

Welchen Gottheiten die verschiedenen Tempel geweiht
waren und welche überhaupt einen Cult in Selinus hatten, ist
hauptsächlich durch Inschriften bekannt geworden (vgl. Benn-
dorf 30). Namentlich aufgeführt sind in der wichtigen In-
schrift aus dem Adyton von G, die diesen Tempel als
Apollonion zu bestimmen erlairbt, gemeinsam zehn Gottheiten:
allen voran Zeus, der ja auch in Olympia ein Schatzhaus er-
halten hatte (Paus. VI 19, 10. Olympia II 50; einen Altar
des Zeus /Igoraios erwähnt Herodot V, 46), dann Phobos (d. i.
Ares), Herakles, Apollon (nach einer anderen Inschrift Apollon
Paean; auch der delphische wurde mit Stiftungen bedacht,
Plut. Pylh. orac. 12), Poseidon, die Tyndariden, Athena, Malo-
phoros und Pasikrateia (d. i. Demeter und Persephone). Dazu
darf man nach den Münzen (Imhoof - Blumer bei Benndorf 73)
noch die Flussgötter Selinus, Hypsas und Acheloos (?) fügen,
die wegen der Entsumpfung des Stadtgebietes durch Empe-
dokles (Diog. Laert. VIII 2, 11) in den Prägungen erscheinen,
ferner Artemis, Asklepios (vergl. jedoch Pauly-Wissowa, Real-
encycl. II 1676 und Holm III 593) und Hygieia (?). Aus den
Typen der Siegelabdrücke, die man in C gefunden hat, werden
wohl keine weiteren Schlüsse auf selinuntische Culte gezogen
werden dürfen, auch wohl nicht daraus, dass in dem olympi-
schen Schatzhaus ein akroelephantiner Dionysos stand (vergl.
Imhoof 81). Aphrodite wird von Zenobius provv. I 31 erwähnt.
Inschriftlich gesichert ist dagegen der Cult der Hera im Tempel
E wie der des Apollon in G, der Hekate in den Propyläen
und der Malophoros in dem Megaron bei Gaggera. Nur mit
einiger Wahrscheinlichkeit lassen sich auch C und D den
beiden grofsen Göttinnen Demeter und Persephone, B einer
verwandten Gottheit zuweisen, A, O und F bleiben unbe-
stimmbar (vergl. unten deren Beschreibungen).

In der antiken Litteratur wird von den selinuntischen
Tempeln im allgemeinen gelegentlich der Erstürmung der
Stadt durch die Karthager gesprochen (Diodor XIII 57. 59).
Es hatten sich Weiber und Kinder da hinein geflüchtet wo-
nach die Tempel innerhalb der Stadt gemeint sein müssen -
und diese werden von den Barbaren verschont, damit die
Weiber nicht etwa die Tempel in Brand steckten und die
Plünderung der darin geweihten Schätze unmöglich machten.
Dann versuchten die Syrakusaner mit dem Sieger zu Gunsten
der Seiimmtier zu unterhandeln, wobei sie u. a. verlangten,
Hannibal sollte die Tempel schonen. Aber vergeblich. Erst
ein ehemaliger Parteigänger der Karthager erreichte es von
Hannibal, dass die geflohenen Selinuntier in ihre Stadt zurück-
kehren und dort gegen Tribut leben dürften. Die Mauern
wurden jedoch von den Karthagern vor ihrem Abzug zerstört.

Nach dieser Erzählung müssen die Tempelbauten bei der
allgemeinen Verwüstung der Stadt unversehrt geblieben sein,
wie denn auch an den erhaltenen nichts darauf hinweist, dass
sie schon im Altertum Ruinen gewesen seien.
 
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