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Krause-Schmidt, Heike
"... ihr Brodt mit kleiner Silber-Arbeit erwerben": die Geschichte des Gmünder Goldschmiedegewerbes von den Anfängen bis zum Beginn der Industrialisierung, unter besonderer Berücksichtigung der Filigranproduktion — Schwäbisch Gmünd: Einhorn-Verlag, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.52957#0035
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Daß es im Verlauf der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu einer Strukturänderung in der
Wirtschaft gekommen sein muß, beweisen die Eintragungen im Sterberegister der Gmünder
Münsterpfarrei:119 120 Die Namen der Goldschmiede, die man auch als aurifex, aurifaber oder
argentifaber bezeichnete, häuften sich, während die Namen der Segessen- oder Sensen-
schmiede kontinuierlich abnahmen.
Über das Woher der Goldschmiede beziehungsweise über den Entwicklungsverlauf der
Handwerksgeschichte wurde in der Literatur wiederholt spekuliert, und man entwickelte wi-
dersprüchliche Thesen. Eine gängige Meinung über den Ursprung des Goldschmiedehand-
werks wurde bereits im ersten Kapitel ausführlich dargelegt, nämlich daß es Goldschmiede
seit der Stauferzeit gegeben habe und diese, vor allem bedingt durch den Münsterbau, wert-
volle Großsilberwaren produziert hätten. Ein anderer Erklärungsversuch ist die Umorientie-
rung der (Sensen-)Schmiede. Durch den Niedergang des Sensengewerbes hätten sich die
Schmiede - die mit den Goldschmieden in der Zunft der Feuerarbeiter zusammengeschlos-
sen waren - auf die Verarbeitung von Silber und Gold verlagert. Eduard Dietenberger erör-
terte ausführlich diese These 1984 in seinem Aufsatz „Warum ich von der Gmünder Gold-
schmiedstradition überzeugt bin“. Er ging dabei von den Huf- und Wagenschmieden in der
Straßen-Kreuzung-SiedlungnG - so seine Beschreibung Gmünds im frühen Mittelalter - aus,
die von ihrer Arbeit nur zur Reisezeit hätten leben können und deshalb angefangen hätten,
Sicheln und Sensen zu schmieden. Das Handwerk werde vom Vater auf den Sohn vererbt,
und ein Schmied muß robust und kräftig sein - was aber, wenn der Knabe zart und
schwächlich war, oder wenn ihm der Sinn nach „Höherem“ stand? Vielleicht habe der
Sohn zufällig angefangen, dünnen Draht zu bearbeiten, vielleicht hat einer der hausieren-
den Verkäufer dies gesehen und dem Buben dann von der nächsten Reise als Muster ein
Ringlein oder Kettchen mitgebracht, vielleicht habe dies dann Nachahmer gefunden.121
Nach Verstaatlichung aller Eisenwerke in Württemberg durch Herzog Friedrich 1598 - so
mutmaßte Dietenberger weiter - versank die Gmünder Sensenproduktion allmählich in die
Bedeutungslosigkeit; vielleicht hätten sich Schmiede, vor allem jüngere, dann der Gold-
schmiederei zugewandt. Erst durch die Existenz der Goldschmiede seien dann die Beinlein-
dreher, Augstein- und Gagatarbeiter auf die Idee gekommen, Perlen zu fertigen, und diese
seien dann die Zulieferer (!) für die Goldschmiede gewesen, die wiederum die Paternoster
fertiggestellt hätten. Diese Argumentation scheint jedoch jeglicher Grundlage zu entbehren.
Vergleicht man die Namen der Sensenschmiede mit denen der Goldschmiede im Sterberegi-
ster der Münsterpfarrei122, so fällt auf, daß die Familiennamen nicht identisch sind: Die
Goldschmiede können also nicht aus den abgehenden Sensenschmiedefamilien hervorge-
gangen sein. Zudem scheint Dietenberger den zwar mageren, aber immerhin doch vorhande-
nen Aussagen in den Chroniken von Sebastian Münster und Paul Goldstainer - gerade Gold-
stainer als Gmünder Stättmeister mußte die wirtschaftlichen Gegebenheiten seiner Stadt ge-
kannt haben - keine Beachtung geschenkt zu haben. Ein weiterer Vertreter der These - aus
Sensenschmiede werden Goldschmiede - war Wolfgang Braun. In seinem Beitrag „Umrisse
einer Wirtschaftsgeschichte des Gmünder Schmuckhandwerks“123 von 1971 schrieb er: Die
Herstellung der verzierten Sensen und Sicheln erforderte große Kunstfertigkeit. So verwun-

119 (StA Gd) Sterbebuch Heilig-Kreuz-Münster Bd. 1: 1629 bis 79.
120 DIETENBERGER 1984, S. 177.
121 DIETENBERGER 1984, S. 177.
122 (StA Gd) Sterbebuch Heilig-Kreuz-Münster Bd. 1: 1629 bis 79.
123 BRAUN 1971, S. 9 bis 43.

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