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Krause-Schmidt, Heike
"... ihr Brodt mit kleiner Silber-Arbeit erwerben": die Geschichte des Gmünder Goldschmiedegewerbes von den Anfängen bis zum Beginn der Industrialisierung, unter besonderer Berücksichtigung der Filigranproduktion — Schwäbisch Gmünd: Einhorn-Verlag, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.52957#0139
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Großbritannien sowie aus dem deutschen Ausland (Pfalz, Württemberg) an. Zwar wurde die
Uhrenproduktion gegen Ende des 18. Jahrhunderts wieder eingestellt, doch seit circa 1790
etablierten sich in Pforzheim Kleinbetriebe, die sich von Anfang an auf die Herstellung von
Schmuck spezialisierten und dabei eine weitgehende innerbetrieblich Arbeitsteilung ein-
führten. 1810 zählte man in Pforzheim bereits vierzehn Schmuckwarenfabriken, die jährlich
Schmuck im Wert von 600 000 Gulden anfertigten. Ab circa 1830 wurden außer Stanzen
und Pressen weitere einfache Maschinen in der Fertigung eingesetzt.669
Diesen neuen Tendenzen verschlossen sich sowohl das Mittel als auch das Gros der Gold-
schmiede in Gmünd völlig. Während sich Hanau durch künstlerischen und handwerklich
montierten Juwelenschmuck vor allem an eine finanzstarke Käuferschaft richtete, und
Pforzheim durch die Einführung der arbeitsteiligen Produktion mit Hilfe von Maschinen
sich einem neuen Fertigungssystem öffnete, blieb Schwäbisch Gmünd seinen ,Traditionen1
in Herstellungsmethode, Produktionspalette, Formensprache, Klientel und Vertriebshierar-
chie verhaftet und verpaßte somit zunächst den Anschluß an das neuangebrochene Industrie-
zeitalter.
Parallel zu den wirtschaftlichen Umbrüchen kam es im Verlauf des 18. Jahrhunderts zu poli-
tischen Krisen und schließlich zu grundlegenden Umwälzungen und Neuordnungen in Euro-
pa. Zunächst erlebte die Gmünder Wirtschaft durch die merkantilistische Politik des Kaisers
Joseph II. einen deutlichen Einbruch. Bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts be-
legte Österreich den Warenimport mit hohen Zöllen. Diese Zollverordnung traf Gmünd um-
so härter, als Österreich zu seinen Hauptabnehmern von Silberwaren zählte; der Preis für die
Ware, den man dann in Österreich bezahlen mußte, stand in keinem Verhältnis mehr zu dem
realen Wert. Nach dem totalen Einfuhrverbot von 1784 war Österreich als Absatzgebiet
nicht mehr existent.670 Die Folgen dieser Entwicklungen waren Verarmung der Goldschmie-
de und schließlich Arbeitslosigkeit. Die anderen Berufsgruppen konnten die freigewordenen
Arbeitskräfte nicht unterbringen, obwohl sich die Goldschmiede, wie aus den Ratsprotokol-
len dieser Zeit ersichtlich wird, darum bemühten, sich auf sonstige Art und Weise ein Aus-
kommen zu schaffen. Vielen blieb schließlich nur noch die Abwanderung in die einstigen
Absatzgebiete (vgl. Kapitel D. 5.2. Die Josephinischen Reformen und ihre Folgen).
Dazu kamen die vier Koalitionskriege gegen Frankreich (1792 bis 1797, 1799 bis 1801/02,
1805 und 1806/07), die 1796 mit Einquartierungen von französischen Revolutionsheeren in
Gmünd unmittelbar das Stadtgebiet berührten. Die Stadt und ihre Bürger erlitten in den Fol-
gejahren großen Schaden durch Requisitionen, Raub und Plünderungen.671 672
Ursula Laurentzsch meinte in ihrem Artikel „Der Anfang vom Ende - Politische Strukturen
der Reichsstadt im 18. Jahrhundert“: Durch die Revolutionskriege waren die finanziellen
wie wirtschaftlichen Kräfte der Stadt so gut wie erschöpft, ja mehr noch, die Stadt war spä-
testens seit 1797 bankrott.6'12 Der Reichsdeputations-Hauptschluß vom 25. Februar 1803
führte nicht allein zur Säkularisierung der kirchlichen Besitztümer in Gmünd, sondern er
beendete schließlich auch die Reichsstadtzeit. Was folgte, war die Eingliederung Gmünds in
die Organisation des (...) absolutistisch regierten Staates Neuwürttemberg mit der Haupt-
stadt Ellwangen. Kurze Zeit später (seit 1805) war Gmünd als Oberamtsstadt ein Bestand-

669 Vgl. MARQUARDT: Schmuck 1983, S. 20. PIEPER 1989. S. 282 bis 283.
670 Vgl. Hugo MICHELI: Wirtschaft und Wirtschaftsbeziehungen im 18. Jahrhundert, S. 282 bis 283.
In: Geschichte der Stadt Schwäbisch Gmünd. Stuttgart 1984, S. 265 bis 292.
671 Von August 1800 bis zum 9. Februar 1801 war die Stadt unter französischer Besetzung.
672 LAURENTZSCH 1984, S. 302.

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