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Krause-Schmidt, Heike
"... ihr Brodt mit kleiner Silber-Arbeit erwerben": die Geschichte des Gmünder Goldschmiedegewerbes von den Anfängen bis zum Beginn der Industrialisierung, unter besonderer Berücksichtigung der Filigranproduktion — Schwäbisch Gmünd: Einhorn-Verlag, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.52957#0150
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circa 0,5 mm und der der Innenschnörkel bis 0,2 mm.736 Mit Hilfe von Werkstattbüchern, in
denen die Länge der Drähte für bestimmte Objekte angegeben waren, schnitt der Gold-
schmied mit Hilfe von Seitenschneidern, Kneifzangen und kleinen Blechscheren die Drähte
in die gewünschte Länge und bog diese mit Pinzetten737 ebenfalls nach Vorlage. Für die Her-
stellung aller sich wiederholender Formelemente - mit Ausnahme der Schnörkel - wurden
Hilfsmittel benutzt, zum Beispiel für Galeriedrähte, fortlaufende Wellenschlingen, bediente
man sich eines „Faulenzers“, ein Brett oder eine Metallplatte mit zwei Reihen versetzt ange-
ordneten Stiften, um die der Draht in kursorischer S-Form geschlungen wurde.738
Im nächsten Arbeitsschritt mußten die einzelnen Ornamentelemente fixiert werden, damit
die Teile beim Löten nicht verrutschen konnten. Bei den zweidimensionalen Filigranarbei-
ten, zum Beispiel bei der Schließe einer Kropfkette, wo die Drähte auf einem Rezipienten zu
liegen kommen,739 wurden die Drähte direkt auf den Träger aufgeklebt. Als Haftmittel fan-
den Weizenmehlkleister, Gummi arabicum und vor allem Tragant (Pflanzengummi) Ver-
wendung. Für dreidimensionale Arbeiten ohne Rezipienten wurden die Drähte auf einer
plangeschliffenen Holzkohle, einem Brettchen oder einem Stück Blech oder auf einer Stein-
platte angeordnet740 und anschließend mittelst einer dicken Tragant-Auflösung™ auf ihrer
Unterlage fixiert. Schnörkel, die in einer aus Hauptdrähten zusammengelöteten Kontur an-
geordnet waren, mußten nicht mit einem Haftmittel befestigt werden. Anschließend wurden
die Drahtteile miteinander verlötet.742 Bei einer Filigranarbeit, die aus mehreren Motiven zu-
sammengesetzt ist, fertigte der Goldschmied zuerst alle Einzelmotive und lötete diese dann
zum Gesamtobjekt.743 Handelte es sich um eine plastische Arbeit ohne Rezipienten, wie zum
Beispiel die voluminöse Florschnalle, wurden die Einzelmotive vor dem Zusammenlöten
zum Endprodukt mit Holz oder Leder umwickelten Eisenhämmern in Holzmulden aufge-
wölbt.744

736 WOLTERS 1985/86, Sp. 1138.
737 Ruth und Max FRÖHLICH: Filigran aus Cortina d’Ampezzo um die Jahrhundertwende. Zürich 1980, S. 18.
738 WOLTERS 1985/86, Sp. 1139?
739 Gislind Ritz bezeichnet diese Art des Filigrans als „Musterfiligran“ im Gegensatz zum voluminösen dreidi-
mensionalen „Zellenfiligran“ ohne Rezipienten. Typische Beispiele für Musterfiligran sind der norddeutsche
und für Zellenfiligran der süddeutsche Schmuck (Gislind RITZ: Alter bäuerlicher Schmuck. München 1978,
S. 19).
740 WOLTERS 1985/86, Sp. 1140 bis 41.
741 KULMER: Kunst 1872, S. 262.
742 WOLTERS 1985/86, Sp. 1140 bis 1141.
743 Clemens BÖHNE: Zur Technik und Geschichte süddeutschen Filigranschmucks. In: Bayerisches Jahrbuch für
Volkskunde 1963, S. 166 bis 171. Derselbe Aufsatz auch in: (Hrsg.) Peter SCHERER, Das Gmünder
Schmuckhandwerk bis zum Beginn des XIX. Jahrhunderts. Schwäbisch Gmünd 1971, S. 87 bis 92. Clemens
Böhne erklärt die Technik des Filigran anhand von drei Beispielen: einer Haarnadel, eines Walpurgisölbüch-
schens und eines Rosenkranzkreuzes. Eine tulpenförmige Haarnadel besteht aus sechs Einzelblättern, wobei
jedes Blatt aus einer Rahmenkonstruktion (zwei ca. 1 Millimeter dicke Drähte werden lanzettförmig gebogen
und an den Enden zusammengelötet), die durch einen wellenförmigen etwas dünneren Draht (0,5 Millimeter),
der in das Gerüst eingelötet wird, in zwei Hälften unterteilt ist. Diese beiden Felder werden mit Schnörkeln
aus 0,2 Millimeter dickem Draht ausgefüllt und an allen Berührungspunkten miteinander verlötet. Sechs auf
diese Weise hergestellte flache Einzelblätter werden gebogen, in einer Vorrichtung zu einer Knospe zusam-
mengesetzt und dann an den Rändern miteinander verlötet. Am unteren Ende wird die U-förmige Haarnadel
angesetzt. Im Innern der halbgeöffneten Tulpe wird der bewegliche „Blütenstempel" eingelötet, der aus einem
Silberdraht spiralförmig gewickelt ist und am oberen Ende eine kleine Silberkugel trägt.
744 OPPELT: Schwäbisch Gmünd 1982, S. 5.
OPPELT: Arbeiten 1982, S. 35.

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