Kapitel B. 2.1.5. Die „Schau“). Nach eingehenden Untersuchungen mit dem Binokular war
eindeutig zu erkennen, daß das Kästchen etwas anderes vorgeben sollte, als es tatsächlich
war, denn sowohl die Stadtbeschaumarke als auch die Meistermarke wurden dem Stück
nachträglich aufgeschlagen. Schleifspuren, die mit Sicherheit nicht als Gebrauchsspuren,
herrührend vom Deckel beim Auf- und Zumachen,1096 zu interpretieren waren, wiesen in
diese Richtung. Bei näherer Betrachtung des steigenden Einhorns erkannte man zudem feine
Unterschiede zu vergleichbaren Einhörnern. Hinzu kam, daß sich auf der gegenüberliegen-
den Seite des Kästchenrandes zwei unscheinbare Punzen befanden, die - wenn man nicht
gerade danach suchte - nicht sofort ins Auge fielen, zumal sie beim Ankauf mit Reinigungs-
paste verklebt waren. Bei diesen Punzen handelte es sich jeweils um dieselbe, die einen auf
einem Berg stehenden Schwan zeigt. Seit 1893 wurden Silberwaren aus Ländern, die mit
Frankreich keinen Handelsvertrag hatten, und die nach Paris importiert wurden, damit ge-
kennzeichnet.1097 Den endgültigen Beweis, daß das Kästchen nicht das war, was es suggerie-
ren sollte, lieferte eine Materialanalyse, die ergab, daß die Legierung des Kästchens einen
Silbergehalt von 98 Prozent aufwies, also aus Sterlingsilber gefertigt wurde, wie es erst ge-
gen Ende des 19. Jahrhunderts üblich war. Bei Untersuchungen weiterer Gegenstände, die
eher außergewöhnlich für die Gmünder Produktion erschienen, kamen ähnliche Resultate
zutage,1098 so daß man bei der Zuordnung von Filigranprodukten nach Schwäbisch Gmünd
in gewisser Weise auf die Gleichförmigkeit sowohl von Form als auch in der Produktpalette
vertrauen darf.
1096 Würden die Schleifspuren vom Deckel hemihren, so müßten sie senkrecht, von oben nach unten, über die
Punzen führen. Die vorliegenden Schleifspuren verliefen jedoch waagerecht!
1097 Franz Chudoba/G. HORETZKY: Die Feingehaltscontrole der Edelmetalle in den Staaten Europas. Wien o. J.
(nach 1900), Tafel V.
1098 Genauso verhält es sich mit einem Tee-Ei (Museum für Natur und Stadtkultur Schwäbisch Gmünd. Inventai-
nummer 1980/5340) mit dem Meisterzeichen „AD“ und der Stadtbeschaumarke von 1730. Auch hier ergab
eine Materialanalyse, daß es sich um ein Produkt um 1900 handelte.
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eindeutig zu erkennen, daß das Kästchen etwas anderes vorgeben sollte, als es tatsächlich
war, denn sowohl die Stadtbeschaumarke als auch die Meistermarke wurden dem Stück
nachträglich aufgeschlagen. Schleifspuren, die mit Sicherheit nicht als Gebrauchsspuren,
herrührend vom Deckel beim Auf- und Zumachen,1096 zu interpretieren waren, wiesen in
diese Richtung. Bei näherer Betrachtung des steigenden Einhorns erkannte man zudem feine
Unterschiede zu vergleichbaren Einhörnern. Hinzu kam, daß sich auf der gegenüberliegen-
den Seite des Kästchenrandes zwei unscheinbare Punzen befanden, die - wenn man nicht
gerade danach suchte - nicht sofort ins Auge fielen, zumal sie beim Ankauf mit Reinigungs-
paste verklebt waren. Bei diesen Punzen handelte es sich jeweils um dieselbe, die einen auf
einem Berg stehenden Schwan zeigt. Seit 1893 wurden Silberwaren aus Ländern, die mit
Frankreich keinen Handelsvertrag hatten, und die nach Paris importiert wurden, damit ge-
kennzeichnet.1097 Den endgültigen Beweis, daß das Kästchen nicht das war, was es suggerie-
ren sollte, lieferte eine Materialanalyse, die ergab, daß die Legierung des Kästchens einen
Silbergehalt von 98 Prozent aufwies, also aus Sterlingsilber gefertigt wurde, wie es erst ge-
gen Ende des 19. Jahrhunderts üblich war. Bei Untersuchungen weiterer Gegenstände, die
eher außergewöhnlich für die Gmünder Produktion erschienen, kamen ähnliche Resultate
zutage,1098 so daß man bei der Zuordnung von Filigranprodukten nach Schwäbisch Gmünd
in gewisser Weise auf die Gleichförmigkeit sowohl von Form als auch in der Produktpalette
vertrauen darf.
1096 Würden die Schleifspuren vom Deckel hemihren, so müßten sie senkrecht, von oben nach unten, über die
Punzen führen. Die vorliegenden Schleifspuren verliefen jedoch waagerecht!
1097 Franz Chudoba/G. HORETZKY: Die Feingehaltscontrole der Edelmetalle in den Staaten Europas. Wien o. J.
(nach 1900), Tafel V.
1098 Genauso verhält es sich mit einem Tee-Ei (Museum für Natur und Stadtkultur Schwäbisch Gmünd. Inventai-
nummer 1980/5340) mit dem Meisterzeichen „AD“ und der Stadtbeschaumarke von 1730. Auch hier ergab
eine Materialanalyse, daß es sich um ein Produkt um 1900 handelte.
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