Einen wichtigen Faktor, der bei aller Fokussie-
rung auf die Buchkunst nicht vergessen werden
darf, machen die Bilder aus, die außerhalb der Bü-
cher existierten. Damit soll nicht nur auf die ge-
meinsamen ikonografischen Traditionen in anderen
Kunstgattungen hingewiesen werden, also die Par-
allelen bei den Darstellungsthemen und deren For-
men. Auch die stilistischen, soll heißen formge-
schichtlichen Verbindungen sind hier nicht allein
wichtig. Es ist noch viel mehr von Bedeutung, dass
das christliche Mittelalter (wie die meisten christ-
lich geprägten Kulturen) den Bildern in der Religi-
on eine positive Rolle zuerkannte, diese Rolle aber
gleichzeitig zu reglementieren versuchte. So sind in
der Spätantike und im westlichen Frühmittelalter
freistehende Skulpturen und lebensgroße Gemälde
im kirchlichen Umfeld eher Ausnahmen gewesen,
weil sie im Verdacht standen, so wie die alten Göt-
terbilder in den Tempeln eine unerlaubte Verehrung
auf sich zu ziehen. Der Wert der Bilder zur Unter-
weisung und Vertiefung in den Glaubenslehren,
insbesondere die Geschichten aus der Bibel und
später den Heiligenleben, wurde jedoch von nur
sehr wenigen bestritten. Wie unklar die Regeln aber
waren, zeigt wohl am besten der Umstand, dass im
frühmittelalterlichen Westen ganz- und halbfiguri-
ge Ikonen gerade im päpstlichen Rom am häufigs-
ten zu finden waren, in Nordeuropa aber noch im
10.Jahrhundert mit Misstrauen betrachtet wurden.
Allerdings scheute man sicli im Mittelalter fast nir-
gends, den gekreuzigten Erlöser als große Holz-
oder Metallskulptur in der Mitte der Kirche aufzu-
stellen.
Das, was ein Bild durfte und was man von ihm
erwartete, hat natürlich auch die Buchkunst beein-
flusst. Bis weit ins 10.Jahrhundert hinein war die
Furcht vor einer Verehrung der „Idole" offensicht-
lich noch recht ausgeprägt, während die zweidi-
mensionalen Bilder in der Nähe der Schrift als be-
sonders angemessen erschienen sein müssen. In
Handschriften für den Kult waren sie natürlich zu-
erst Teil des Schmuckes, des „decorum", den man
im Lobdienst vor Gott für notwendig erachtete.
Aber die Mönche und Kleriker sollten die heiligen
Vorderdeckel des Perikopenbuchs Heinrichs II.
Das Elfenbein stammt aus der Hofschule Karls des
Kahlen, um 870, die Emails mit den Aposteln aus
Byzanz und die Goldschmiedearbeiten vermutlich
aus Regensburg (oder Bamberg). Gegen 1012 gefer-
tigt. München, BSB, Clm 4452 (44 x32cm).
Muttergottes. Aachener Psalter, thüringisch-säch-
sisch, vermutlich Hildesheim, 1250. Hs 886, fol. 7v
(23,9x17 cm).
Schriften und die theologische Literatur intensiv
und über einen längeren Zeitraum studieren und
dabei ihren Gehalt memorieren sowie ihren spiritu-
ellen Nutzen durchdringen. Bilder wurden nicht
selten als Objekte benutzt, an denen sich das Gele-
sene noch einmal rekapitulieren und damit noch
besser erfassen ließ. Mehr noch: Die Bilder wurden
zu einem nicht geringen Teil ähnlich wie Schrift be-
trachtet und auch entsprechend gestaltet. In der vor
der Mitte des 9.Jahrhunderts in Tours geschaffenen
Bibel wird dies sehr deutlich (vgl. Abb.31). Auf der
Bildseite zur Genesis sind die Erschaffung des
13 1. Äußere Form
und kulturelle
Funktion
rung auf die Buchkunst nicht vergessen werden
darf, machen die Bilder aus, die außerhalb der Bü-
cher existierten. Damit soll nicht nur auf die ge-
meinsamen ikonografischen Traditionen in anderen
Kunstgattungen hingewiesen werden, also die Par-
allelen bei den Darstellungsthemen und deren For-
men. Auch die stilistischen, soll heißen formge-
schichtlichen Verbindungen sind hier nicht allein
wichtig. Es ist noch viel mehr von Bedeutung, dass
das christliche Mittelalter (wie die meisten christ-
lich geprägten Kulturen) den Bildern in der Religi-
on eine positive Rolle zuerkannte, diese Rolle aber
gleichzeitig zu reglementieren versuchte. So sind in
der Spätantike und im westlichen Frühmittelalter
freistehende Skulpturen und lebensgroße Gemälde
im kirchlichen Umfeld eher Ausnahmen gewesen,
weil sie im Verdacht standen, so wie die alten Göt-
terbilder in den Tempeln eine unerlaubte Verehrung
auf sich zu ziehen. Der Wert der Bilder zur Unter-
weisung und Vertiefung in den Glaubenslehren,
insbesondere die Geschichten aus der Bibel und
später den Heiligenleben, wurde jedoch von nur
sehr wenigen bestritten. Wie unklar die Regeln aber
waren, zeigt wohl am besten der Umstand, dass im
frühmittelalterlichen Westen ganz- und halbfiguri-
ge Ikonen gerade im päpstlichen Rom am häufigs-
ten zu finden waren, in Nordeuropa aber noch im
10.Jahrhundert mit Misstrauen betrachtet wurden.
Allerdings scheute man sicli im Mittelalter fast nir-
gends, den gekreuzigten Erlöser als große Holz-
oder Metallskulptur in der Mitte der Kirche aufzu-
stellen.
Das, was ein Bild durfte und was man von ihm
erwartete, hat natürlich auch die Buchkunst beein-
flusst. Bis weit ins 10.Jahrhundert hinein war die
Furcht vor einer Verehrung der „Idole" offensicht-
lich noch recht ausgeprägt, während die zweidi-
mensionalen Bilder in der Nähe der Schrift als be-
sonders angemessen erschienen sein müssen. In
Handschriften für den Kult waren sie natürlich zu-
erst Teil des Schmuckes, des „decorum", den man
im Lobdienst vor Gott für notwendig erachtete.
Aber die Mönche und Kleriker sollten die heiligen
Vorderdeckel des Perikopenbuchs Heinrichs II.
Das Elfenbein stammt aus der Hofschule Karls des
Kahlen, um 870, die Emails mit den Aposteln aus
Byzanz und die Goldschmiedearbeiten vermutlich
aus Regensburg (oder Bamberg). Gegen 1012 gefer-
tigt. München, BSB, Clm 4452 (44 x32cm).
Muttergottes. Aachener Psalter, thüringisch-säch-
sisch, vermutlich Hildesheim, 1250. Hs 886, fol. 7v
(23,9x17 cm).
Schriften und die theologische Literatur intensiv
und über einen längeren Zeitraum studieren und
dabei ihren Gehalt memorieren sowie ihren spiritu-
ellen Nutzen durchdringen. Bilder wurden nicht
selten als Objekte benutzt, an denen sich das Gele-
sene noch einmal rekapitulieren und damit noch
besser erfassen ließ. Mehr noch: Die Bilder wurden
zu einem nicht geringen Teil ähnlich wie Schrift be-
trachtet und auch entsprechend gestaltet. In der vor
der Mitte des 9.Jahrhunderts in Tours geschaffenen
Bibel wird dies sehr deutlich (vgl. Abb.31). Auf der
Bildseite zur Genesis sind die Erschaffung des
13 1. Äußere Form
und kulturelle
Funktion