Das wichtigste Farbmittel der Codices ist der
Rot-Ton, der für Auszeichnungsschriften und zahl-
reiche Texthervorhebungen und auch als Malmittel
für Hintergründe, Zeichnungen und Konturen ver-
wendet wurde. Seit dem frühen Mittelalter wurde
dafür das Bleioxid Mennige, ein hellrotes, nahezu
orangefarbenes Pigment eingesetzt (vgl. Abb. 16,
68). Von diesem Farbmittel, das im Mittellateini-
schen, beispielsweise in der Mappae Clavicula als
„minium" bezeichnet wird, leitet sich der Begriff
Miniatur ab. Daneben wurde roter Ocker, das heißt
natürlich vorkommende eisenoxidhaltige Farberden
verarbeitet, oder gelber Ocker, der durch Brennen
in roten Ocker überführt wurde. Der ebenfalls häu-
fig eingesetzte Farbstoff Zinnober ist ein Quecksil-
bersulfid, das als Mineral abgebaut oder chemisch
durch die Sublimation von Quecksilber und Schwe-
fel hergestellt wurde. Hinzu kommt pflanzliches
Rot, wie das aus der Krappwurzel gewonnene, das
aus Brasilholz und das aus dem Krebskraut herge-
stellte Folium, das ein breites Rotspektrum liefert.
Als tierischer roter Farbstoff kommt noch das in
mittelalterlichen Quellen als „Carmin" bezeichnete,
aus Schildläusen gewonnene Kermes hinzu. In der
Bedeutungsskala traditionell wichtigster Farbton ist
das Purpur, das schon in der Antike Insignie von
Herrschaft war und auch von mittelalterlichen
Herrscherhäusern und Päpsten als solche verwendet
wurde. Die im Westen so seltenen Purpurhand-
schriften, bei denen wie im Wiener Krönungsevan-
geliar der Zeit um 800 (Wien, Kunsthistorisches
Museum, Weltliche Schatzkammer) das Pergament
eingefärbt wurde, und Purpururkunden wie die be-
rühmte Heiratsurkunde der Kaiserin Theophanu
aus dem Jahr 972 (Wolfenbüttel, Niedersächsisches
Staatsarchiv, 6 Urk.ll) sind noch überwiegend oder
ganz als Herrschaftsrepräsentation zu sehen. Wie
aber die Beispiele des Liuthard-Codex aus der Hof-
schule Karls des Kahlen (vgl. Abb. 12) und des
Gladbacher Evangeliars (vgl. Abb.42) belegen, sind
Purpurtöne auch als Würdeformel für das Evangeli-
ar zu verstehen. Für die Gewänder Christi respekti-
ve in den Darstellungen des thronenden Himmels-
königs (vgl. Abb.35) konnte schließlich ebenso
Purpur verwendet werden, wie das für den König
üblich war (vgl. Abb.33). Als Rohstoffe für Purpur-
farbtöne dienten im lateinischen Westen jedoch
nicht mehr der überaus kostbare Saft der Purpur-
schnecke, sondern unterschiedliche Mischungen aus
Krapp, Kermes, Mennige und Folium. Das hatte au-
ßerdem den Vorteil, dass mit dem Farbton richtig-
gehend gemalt werden konnte, während echter Pur-
pur nur zum Färben geeignet war. Weitaus geringer
waren die Möglichkeiten, gelbe Farbe zu erhalten.
Am häufigsten verwendete man natürlich vorkom-
mendes Ocker. Daneben konnte man gelbe Lasuren
aus Pflanzensäften herstellen; der bekannteste ist si-
cherlich Safran. Anorganische gelbe Farbmittel wa-
ren das Auripigment, ein Arsensulfid, das leicht mit
anderen Farben reagiert und sich verfärbt, oder das
lichtempfindliche Bleigelb (erhitztes Bleiweiß) so-
wie das Blei-Zinn-Gelb. Für Blau gab es im Wesent-
lichen drei Rohstoffe. Für das kräftige Ultramarin-
blau wurde der Halbedelstein Lapislazuli pulverisiert
und gereinigt, d. h., der nichtfarbige Gesteinsanteil
musste ausgesondert werden. Als Alternative zu
dem damals wie heute vor allem in Afghanistan ab-
gebauten Lapislazuli griff man ab dem 13.Jahrhun-
dert zunehmend auf das in Europa vorkommende
kupferhaltige Mineral Azurit, auch Bergblau ge-
nannt, zurück. Zu den mineralischen Blaupigmen-
ten kommen noch die pflanzlichen Farbmittel, wie
das in Afrika und Asien wachsende Indigo und das
für die mittelalterliche Farbherstellung bedeutende
heimische Waid, das in besonderer Farbintensität
aus thüringischen Anbaugebieten stammte. Grün
konnte aus Mischungen blauer und gelber Farbmit-
tel bereitet werden. Hinzu kommt Malachitgrün,
das ähnlich dem Azurit aus kupferhaltigem Mineral
gewonnen wird und als Berggrün bekannt ist. Ver-
breitetes Grünpigment war das Grünspan, ein Kup-
fersalz, das oft in Verbindung mit grünen Pflanzen-
säften vermalt wurde. Da Kupfergrünpigmente auf
Pergament und Papier durchschlagen und sogar
Farbfraß, d.h. die Zerstörung des Schriftträgers,
verursachen können, ist die Verwendung dieses Pig-
ments relativ leicht zu erkennen, während andere
der beschriebenen Farbmittel mit bloßem Augen-
schein kaum zu unterscheiden sind. Grundsätzlich
muss man davon ausgehen, dass Maler immer wie-
der neue Kombinationen ausprobierten, um mög-
lichst brillante Farben zu erzielen, und dass Metho-
den anderer künstlerischer Gattungen, etwa der
Fass-, Tafel- und Wandmalerei übernommen wur-
den. So wurde die gerade für Wandmalereien um
1400 eingesetzte Farbgestaltung mit „Terra verde"
(grüne Erde) auch zum Grundieren von Pergament
als Hintergrundfarbe für Illustrationen gebraucht
(London, BL, Add. Ms.24189). Als Basis für weiße
Farbmittel, die für Farbabstufungen und Weißhö-
hungen in der Deckfarbenmalerei gebraucht wur-
den, stand Bleiweiß zur Verfügung, Gips und ge-
löschter Kalk sowie verschiedene Kreiden, die durch
Mahlen von Mineralien, Eierschalen und Muscheln
35 1. Materialien
und
Techniken
Rot-Ton, der für Auszeichnungsschriften und zahl-
reiche Texthervorhebungen und auch als Malmittel
für Hintergründe, Zeichnungen und Konturen ver-
wendet wurde. Seit dem frühen Mittelalter wurde
dafür das Bleioxid Mennige, ein hellrotes, nahezu
orangefarbenes Pigment eingesetzt (vgl. Abb. 16,
68). Von diesem Farbmittel, das im Mittellateini-
schen, beispielsweise in der Mappae Clavicula als
„minium" bezeichnet wird, leitet sich der Begriff
Miniatur ab. Daneben wurde roter Ocker, das heißt
natürlich vorkommende eisenoxidhaltige Farberden
verarbeitet, oder gelber Ocker, der durch Brennen
in roten Ocker überführt wurde. Der ebenfalls häu-
fig eingesetzte Farbstoff Zinnober ist ein Quecksil-
bersulfid, das als Mineral abgebaut oder chemisch
durch die Sublimation von Quecksilber und Schwe-
fel hergestellt wurde. Hinzu kommt pflanzliches
Rot, wie das aus der Krappwurzel gewonnene, das
aus Brasilholz und das aus dem Krebskraut herge-
stellte Folium, das ein breites Rotspektrum liefert.
Als tierischer roter Farbstoff kommt noch das in
mittelalterlichen Quellen als „Carmin" bezeichnete,
aus Schildläusen gewonnene Kermes hinzu. In der
Bedeutungsskala traditionell wichtigster Farbton ist
das Purpur, das schon in der Antike Insignie von
Herrschaft war und auch von mittelalterlichen
Herrscherhäusern und Päpsten als solche verwendet
wurde. Die im Westen so seltenen Purpurhand-
schriften, bei denen wie im Wiener Krönungsevan-
geliar der Zeit um 800 (Wien, Kunsthistorisches
Museum, Weltliche Schatzkammer) das Pergament
eingefärbt wurde, und Purpururkunden wie die be-
rühmte Heiratsurkunde der Kaiserin Theophanu
aus dem Jahr 972 (Wolfenbüttel, Niedersächsisches
Staatsarchiv, 6 Urk.ll) sind noch überwiegend oder
ganz als Herrschaftsrepräsentation zu sehen. Wie
aber die Beispiele des Liuthard-Codex aus der Hof-
schule Karls des Kahlen (vgl. Abb. 12) und des
Gladbacher Evangeliars (vgl. Abb.42) belegen, sind
Purpurtöne auch als Würdeformel für das Evangeli-
ar zu verstehen. Für die Gewänder Christi respekti-
ve in den Darstellungen des thronenden Himmels-
königs (vgl. Abb.35) konnte schließlich ebenso
Purpur verwendet werden, wie das für den König
üblich war (vgl. Abb.33). Als Rohstoffe für Purpur-
farbtöne dienten im lateinischen Westen jedoch
nicht mehr der überaus kostbare Saft der Purpur-
schnecke, sondern unterschiedliche Mischungen aus
Krapp, Kermes, Mennige und Folium. Das hatte au-
ßerdem den Vorteil, dass mit dem Farbton richtig-
gehend gemalt werden konnte, während echter Pur-
pur nur zum Färben geeignet war. Weitaus geringer
waren die Möglichkeiten, gelbe Farbe zu erhalten.
Am häufigsten verwendete man natürlich vorkom-
mendes Ocker. Daneben konnte man gelbe Lasuren
aus Pflanzensäften herstellen; der bekannteste ist si-
cherlich Safran. Anorganische gelbe Farbmittel wa-
ren das Auripigment, ein Arsensulfid, das leicht mit
anderen Farben reagiert und sich verfärbt, oder das
lichtempfindliche Bleigelb (erhitztes Bleiweiß) so-
wie das Blei-Zinn-Gelb. Für Blau gab es im Wesent-
lichen drei Rohstoffe. Für das kräftige Ultramarin-
blau wurde der Halbedelstein Lapislazuli pulverisiert
und gereinigt, d. h., der nichtfarbige Gesteinsanteil
musste ausgesondert werden. Als Alternative zu
dem damals wie heute vor allem in Afghanistan ab-
gebauten Lapislazuli griff man ab dem 13.Jahrhun-
dert zunehmend auf das in Europa vorkommende
kupferhaltige Mineral Azurit, auch Bergblau ge-
nannt, zurück. Zu den mineralischen Blaupigmen-
ten kommen noch die pflanzlichen Farbmittel, wie
das in Afrika und Asien wachsende Indigo und das
für die mittelalterliche Farbherstellung bedeutende
heimische Waid, das in besonderer Farbintensität
aus thüringischen Anbaugebieten stammte. Grün
konnte aus Mischungen blauer und gelber Farbmit-
tel bereitet werden. Hinzu kommt Malachitgrün,
das ähnlich dem Azurit aus kupferhaltigem Mineral
gewonnen wird und als Berggrün bekannt ist. Ver-
breitetes Grünpigment war das Grünspan, ein Kup-
fersalz, das oft in Verbindung mit grünen Pflanzen-
säften vermalt wurde. Da Kupfergrünpigmente auf
Pergament und Papier durchschlagen und sogar
Farbfraß, d.h. die Zerstörung des Schriftträgers,
verursachen können, ist die Verwendung dieses Pig-
ments relativ leicht zu erkennen, während andere
der beschriebenen Farbmittel mit bloßem Augen-
schein kaum zu unterscheiden sind. Grundsätzlich
muss man davon ausgehen, dass Maler immer wie-
der neue Kombinationen ausprobierten, um mög-
lichst brillante Farben zu erzielen, und dass Metho-
den anderer künstlerischer Gattungen, etwa der
Fass-, Tafel- und Wandmalerei übernommen wur-
den. So wurde die gerade für Wandmalereien um
1400 eingesetzte Farbgestaltung mit „Terra verde"
(grüne Erde) auch zum Grundieren von Pergament
als Hintergrundfarbe für Illustrationen gebraucht
(London, BL, Add. Ms.24189). Als Basis für weiße
Farbmittel, die für Farbabstufungen und Weißhö-
hungen in der Deckfarbenmalerei gebraucht wur-
den, stand Bleiweiß zur Verfügung, Gips und ge-
löschter Kalk sowie verschiedene Kreiden, die durch
Mahlen von Mineralien, Eierschalen und Muscheln
35 1. Materialien
und
Techniken