Der Evangelist Markus im Gero-Codex ist eine dem
Zeitstil angepasste Kopie einer Miniatur des Lorscher
Evangeliars aus der Hofschule Karls des Großen.
Reichenau 969-976. Hs 1948, fol. Iv (29,5 x 21,7 cm).
ben hat, war es deswegen für den Sachsen Gero kei-
neswegs selbstverständlich, einen Mönch von der
fernen Reichenau mit der Herstellung seines Ge-
schenkes zu beauftragen. Noch auffälliger ist die
Auswahl der Vorlagen und deren produktive Ver-
wendung: Die karolingische Sammlung von Figu-
rengedichten „De laudibus sanctae crucis" hat die
ideelle Blaupause zu mehreren ottonischen und
spätangelsächsischen Handschriften geliefert. Wie
schon ausgeführt, ist für die doppelte Dedikation -
von Anno an Gero, von Gero an Petrus - auf die
Dedikationsbilder zurückgegriffen worden, die
Hrabanus Maurus vor „De laudibus" gestellt hatte.
Aber auch die Idee, den Bildern eine in Versen ge-
haltene Erklärung auf der nächsten Seite gegen-
überzustellen, verweist deutlich auf „De laudibus",
wo allerdings zusätzlich die Bilder selbst mit Ver-
sen überzogen sind. Idealiter soll hier die Möglich-
keit einer vertiefenden und memorisierenden Lek-
türe gegeben werden, die sich durch die Bildbetrach-
tung noch intensiviert. Ob das für den faktischen
Gebrauch eines liturgischen Evangelistars von Be-
deutung war, muss aber dahingestellt bleiben.
Das Vorbild für die Evangelistenbilder (Abb.34)
und die Maiestas Domini (Abb.35) lässt sielt eben-
falls nachweisen, und zwar noch genauer als für die
Dedikationsbilder, für die die konkrete Handschrift
von „De laudibus" nicht bekannt ist. Die Reichen-
auer Maler kopierten nämlich den Lorscher Codex
aureus, das bereits erwähnte jüngste Evangeliar aus
der Hofschule Karls des Großen (Alba Julia, Bib-
lioteca Documentara Batthyäneum, R. II. 1; Rom,
BAV, Pal. lat. 50). Es ist dabei nicht klar, ob Anno
vielleicht ausgesucht wurde, weil er dermaßen ex-
quisite Vorlagen zu beschaffen vermochte, oder ob
Gero die Maler in das Kloster Lorsch schickte, weil
er selbst diese zweifellos berühmte, später auch von
Hildesheimer Malern kopierte Handschrift kannte.
Nun sind die Evangelistenbilder des Lorscher
Codex aureus die atmosphärischsten und am we-
nigsten monumentalen der Hofschule gewesen.
Selbst im Vergleich zu den zeitlich nahen Bildern
des Ada-Codex (vgl. Abb.29) erkennt man zudem
die Aufnahme neuer, vielleicht mittelbyzantinischer
Schemata, zu denen eine ungewöhnlich hell leuch-
tende Farbpalette tritt. Im Gero-Codex wird die
Größe der Figuren im Verhältnis zur Scheinarchi-
tektur wieder gesteigert, der freie Raum um sie
schwindet; ihre additive Einpassung vor der Land-
schaft oder dem Raum versucht der ottonische Ma-
ler entweder durch eine Definition des Ortes - hier
hinter den Gräsern - zu ersetzen oder aber, wie im
Dedikationsbild, durch völlig freies Schweben zu
betonen. Die Farbigkeit wird bis ins Grelle gestei-
gert, und zudem zerstört ein dichtes Netz von gol-
denen Linien die vorherige Balance aus schwarzen,
dunkelroten und goldenen Linien und dezenten
Die Maiestas Domini wird in dieser besonderen
Bildtradition mit einem Thronsessel und mit in
Kreuzform angebrachten Evangelistensymbolen
dargestellt. Gero-Codex, Reichenau, 969-976.
Hs 1948, fol. 5v (29,5 x 21,7 cm).
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der Zeiten
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