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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 57.1906-1907

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Waentig-Halle, Heinrich: Über modernes Wirtschaftsleben und Kunst: Vortrag
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https://doi.org/10.11588/diglit.9336#0223

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Bayerns kunsthandwerkliche Fachschulen auf der Nürnberger Iubiläums-Landesausstellung.

39^. Kinderbettdecke; aus der Enchenreuther Stickereischule, nach Entwurf von Johanna Sattler, München. (Länge— \,2% m.)
(Grund grobe, nicht ganz weiße Leinwand; äußerste Randlinien und Raben blauschwarz; Bänder rot, Kränze grün.)

duktion. An Stelle des Produzenten, der vielleicht
mit Gehilfen für einen individuellen Kunden arbeitet,
tritt ein Unternehmer, der eine größere Anzahl von
Arbeitern für den Markt produzieren läßt. Das
Arbeitsverhältnis bringt es mit sich, daß der Arbeiter
jeden persönlichen Ginfluß auf den Produktionsprozeß
verliert, die Horm der Bedarfsdeckung, daß der Unter-
nehmer als solcher seinem Produkt gleichgültig gegen-
übersteht. Wird er doch vorwiegend beherrscht von
dem Gedanken, durch Umsatz seiner Produkte auf den:
Markte einen Gewinn zu erzielen, so muß sein Paupt-

395. Kiuderkleidchen; aus der Enchenreuther Stickereischule;
Entwurf von Mia Cornelius; (blaugrün; Stickerei dunkel-
blaugrün, bernsteingelb und gelblich weiß).

bestreben darauf hinauslaufen, marktgängige Waren
zu erzeugen. Die Tendenz des Marktes aber ist der
Kunft verhängnisvoll; sie verlangt das Gemein-
verständliche, das Mittelmäßige, denn eine markt-
gängige Ware nruß möglichst allgemeine Verwen-
dung gestatten. Je neutraler, je sachlicher, je ty-
pischer ein Gebrauchsgegenstand sich gestaltet, um so
absetzbarer wird er sein. Auch mannigfaltige andere
Umstände (die Mode) wirket: dahiti, die Typus-
produktion zu begünstigen und damit die Verwirk-
lichung künstlerischen Wollens zu erschweren.

So ist denn die instinktive Abneigung der eng-
lischen Reformen gegen moderne Technik und moderne
Wirtschaft eine berechtigte. Das bedeutet aber nicht,
daß wir vor jenen Tendenzen 6ic Segel streichen
sollen. Denn die wissenschaftliche Überlegung zeigt
uns weiter, daß die der Aunst verhängnisvollen
Tendenzen von Technik und Wirtschaft durch starkes
künstlerisches Wollen auf seiten der Erzeugenden,
wie der Erwerbenden überwunden werden können,
und die kunstgewerbliche Bewegung unserer Tage
ist nur der Ausdruck jenes zu immer größerer Klar-
heit sich durchringenden Gefühls, daß aus uns selbst
heraus etwas geschehen muß, um den ästhetischen
Verfall unserer inateriellen Kultur aufzuhalten.
Niemals ist dies echte Sehnen nach Kunst stärker

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