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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 57.1906-1907

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Gmelin, L.: Peruanische Altertümer, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9336#0294

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peruanische Altertümer.

Weise diese Vögel stilisiert und in den verfügbaren
Raum eingepaßt sind. Einmal stolzieren die großen
Tiere gravitätisch in einem Fries dahin, die jungen
dazwischen (Abb. 587), — ein andermal stehen sie
in schrägen Reihen, jeder in die vom Vordermann
gelassene Lucke eingreifend (Abb. 5Hs) oder gegen-
einander versetzt (Abb. 53s). Einzeln werden sie bis-
weilen in vorgezeichnete Vierecke eingesperrt (Abb. 557
(Truthahn?I) und 577). Manche scheinen im Nest
zu hocken oder zu schwimmen (Abb. 55 s); andere
könnte man als fliegende Vögel ansehen, wobei die
„Flügel" aus Dreieckchen bestehen^), oder direkt als
Ornament behandelt werden (Abb. 582). schließlich
kommen sogar bloße Vogelköpfe auf Stiele gesteckt
vor, und zwar recht häufig^); zur vollen Unkennt-
lichkeit entstellt treiben endlich Vogelköpfe bei ge-
malten Stoffen (Abb. 59{), ihr Wesen, wobei der
ursprüngliche Sinn des Motivs bereits vollständig aus
dein Bewußtsein des Verfertigers gelöscht erscheint.
— Das Vogelmotiv spukt aber auch in rein linearen
Ornamenten, wie bei dem gemalten Stoff Abb. 590;
da liegt der Gedanke nahe, daß auch der Rand des
Gewebes Abb. 567 (linke Kante) und andere ähnliche
Ornamente (Abb. 503, 60) gleicher Abstammung
sind. — Auch paarige Zusammensetzungen fehlen
nicht, z. B. nach Art des Hakenkreuzes fi; eine bis-
weilen vorkommende Bildung kann inan wohl,
wenigstens in ihrer oberen Hälfte, als Doppeladler
bezeichnen (Abb. 685).

Anderes Getier ist seltener. Am auffallendsten sind
wohl die langgeschwänzten, katzenartigen und doch nur
zweibeinigen Geschöpfe, die auf den Einzeldarstellungen
zähnefletschend den Beschauer anglotzen, der sich über
die seltsamen Beine, die unstimmigen Krallen, über-
haupt über die Geometrisierung seine Gedanken macht
(Abb. 507, 59)* 4 5 6); in Reihen zu Mustern oder breiten
Bordüren geordnet erscheint dies Tier meist hockend und
in Profilansicht (Abb. 56^ oben und 565). Entsprechend
der oben geschilderten Stilisierung und Vereinfachung
des Vogels steht nichts inr Wege, den Katzenkopf in
Vorderansicht (charakterisiert durch Ohren, Augen
und Mund) sogar in den geometrischen Teilen des

Musters Abb. 555 und in den Zatteln der

Kopfbinde Abb. 509 wiederzuerkennen. Irgendein

9 Nach Ratzel a. a. V. I. sos wurde der Truthahn in
Mexiko als Haustier gehalten.

9 Abb. 50;, 57 fBordllref, 67, 72 b, 7-;, 79.

9 Abb. 520, 22, 25, 34, 54, 55, Tafel 9: Nr. 3, s, >s.

4) Abb. 540, 47, 67.

5) Bei dem auf Tafel 9, Nr. dargestellten Geschöpf
könnte man au ffuude denken, die zwar nicht in Peru, aber in
Mexiko zun: Bestand der kfanstiere zählten. Ratzel a. a. G.

I. 606.

594. Bemalter Stoff; Umrisse dunkelbraun, ausgefnllt mit
hellbraun und rosa. (V8 d. wirkt. Größe.)

Raubtier scheiitt auch an der Musterung der poncho-
bordüre Abb. 5s7 beteiligt zu sein; wenn man z. B.
den Mittelstreifen in wagerechter Stellung genau
betrachtet, dann wird man ohne allzugroßen Auf-
waird von Phantasie bald eilt quadratisches, über Eck
stehendes Auge (<I), ein mäanderartiges Ohr, einen
geöffneten Rachen und ein doppelzehiges Bein her-
ausfinden, die in Hakenkreuzstellung — um (80°
gedreht — sich wiederholen.

An sonstigem Getier kommen vor: Geweih-
träger (Abb. 506, 78), Eidechsen (Alligatoren?
Abb. 508, 6 s, 93), Fische (Abb. 580, 8 s, 8-s) und

— wenn die Deutung nicht zu verwegen ist —
Schlangen (Abb. 537). Menschliche ©eftalten
werden — es kann ja nicht anders fein, wenn man
auf nur vier Linienrichtungen (I — \ /) ange-
wiesen ist — in der primitiven textilen Darstellung
zu grotesken Spukwesen, namentlich wenn man die
wichtigen Rangabzeichen (Ohrpflöcke) und den nicht
minder bedeutsamen Kopfschmuck, zu dem mitunter
auch Vogelköpfe gehören (s. Abb. 556), zum Ausdruck
bringen wollte. Finger und Zehen werden durch
senkrechte oder wagerechte Striche angedeutet, die aber
weder nach Zahl noch nach Lage, Länge oder Rich-
tung der Wirklichkeit entsprechen (besonders deutlich
bei Abb. 558, 62, 83). In gleicher kindlich drolliger
Weife wird da ein Krieger dargestellt, der in der
einen Hand seine stabförnrige Waffe, in der anderen
das Haupt eines erschlagenen Feindes hält (Abb. 558),

— oder ein am Ufer hockender Mischer, der eben an
der Angel einen riesigen Fisch emporzieht (Abb. 593),
trotzdem es sich im letzteren Falle um ein gemaltes
Gewebe handelte, bei dem der Verfertiger sich weniger
einem technischen Zwang fügen mußte.

Uber die Verwendung dieser Stoffe zu Klei-
dungsstücken sind wir fast nur auf Vermutungen
 
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