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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 57.1906-1907

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Osterrieth, Albert: Der Rechtsschutz des Kunstgewerbes nach dem neuen Kunstschutzgesetz
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https://doi.org/10.11588/diglit.9336#0306

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Der Rechtsschutz des Uunstgewerbes nach dem neuen Aunstschutzgesetz.

z. B. einzelne Linien, Dekorations- oder Farbenmotive,
neue wirksame Farbenzusammenstellungen, neue
Kombinationen verschiedener Stoffe usw. Lin uns
allen geläufiges Beispiel bieten die Anregungen, die
das moderne Kunstgewerbe van de Beide und seinen
Nachfolgern verdankt. Sie beruhen auf der Idee
der Ausgestaltung der natürlichen Bewegtheit der
Materie. Die einzelne konkrete Ausführung dieser
Idee ist in jedem Falle geschützt; allein die Benutzung
dieser Anregung und die weitere Ausbildung dieses
Prinzips steht jedem frei, auch wenn uns die Idee
zum ersten Male durch die individuelle Ausführung
eines Künstlers erschlossen wurde. Ähnlich steht es
z. B. mit den Farbenwirkungen der Tiffanygläser
oder der Kopenhagener Keramik. Solche Anregungen
können naturgemäß auch von anderen weiter aus-
gestaltet werden.

Alles dasjenige, was an einem Werk übrig
bleibt, wenn man die freien Elemente ausscheidet,
ist die individuelle und schutzfähige Schöpfung
des Urhebers. Naturgemäß treten die freien und
schutzfähigen Elemente nicht derart äußerlich zutage,
daß man die einen einfach von den anderen abziehen
kann. Vielmehr muß immer auf die Analyse des
Schaffensaktes zurückgegangen werden. Stellt sich
aber heraus, daß ein Werk, fo wie es vorliegt, nicht
lediglich ans einer unfreien, zwangsläufig gegebenen
Kombinierung freier Elemente zusammengesetzt ist,
sondern daß die freien Elemente zu einer höheren
Einheit verbunden sind, durch einen Vorgang, der
in der Phantasie des Künstlers, d. h. in einem rein
individuellen Schaffensakt, entstanden ist, dann ist das
Werk geschützt. Und zwar kommt es auf den Grad
künstlerischer Betätigung nicht an. Jedes
kunstgewerbliche Erzeugnis, das derart individuell
ist, daß es in der vorliegenden Form nicht von zwei
unabhängig schaffenden Künstlern übereinstimmend
geschaffen werden konnte, ist als Werk der bildenden
Künste im Sinne des Urheberrechts anzusehen, hier-
aus geht hervor, daß in Zukunft die gesamte freie
Produktion auf dem Gebiet des Kunstgewerbes unter
Schutz steht, und daß derjenige Kunstgewerbetreibende,
der sich nicht lediglich auf Nachahmung fremder
Werke beschränkt, in seiner Produktion geschützt ist.

Es ist heute weiten Kreisen noch nicht geläufig,
in einem Möbelstoff, in einer Gardine, in einem Eß-
besteck, einem Schrank, einem Waschtischservice ein
Werk der bildenden Künste zu erblicken. Allein wir
inüssen uns eben von überkommenen Vorurteilen frei
machen. Auf anderen Gebieten, wie z. B. dem der
Literatur, ist es längst Übung, auch in der scheinbar
geistlosesten und primitivsten Schöpfung ein schutz-
fähiges Werk zu erblicken, wie z. B. in einem Adreß-

buch, in einem Kursbuche oder einer Zusammen-
stellung der Börsenkurse. Dies rührt daher, daß
man an den Begriff Schriftwerk keine besonderen
literarischen Anforderungen stellt. Auf unserem Ge-
biete aber werden wir leicht durch das Wort „Kunst"
verführt, nur dasjenige in den Schutzbereich einzu-
beziehen, was auch die Maßstäbe der sog. hohen
oder reinen Kunst vertragen kann. Allein, ich wieder-
hole, dieser Standpunkt ist unrichtig; auch auf dem
Gebiet der bildenden Künste oder des Kunstgewerbes
ist jede noch so bescheidene Schöpfung schutzfähig,
die den Stempel einer individuellen Arbeit an sich trägt.

598. Bücherschrank (s. Abb. 597);
Entwurf von Georg Dangt, Ausführung von
Ioh. th i m m c l r e i ch , München.

<Vb die Gerichte sich rasch in diese neuen An-
schauungen hineinfinden werden, mag zweifelhaft
sein; allein für solche Fälle, in denen ein Kunst-
industrieller in die Anerkennung des künstlerischen
Eharakters seiner Leistungen durch die Staatsanwälte
und Gerichte Zweifel fetzt, bleibt ihm noch immer
die Möglichkeit offen, seine Erzeugnisse wie bisher
noch als Muster zu hinterlegen. Ein innerer Unter-
schied zwischen Geschmacksmustern und Werken der
bildenden Künste besteht nicht. Nur die Anforderungen
find beim Geschmacksmuster geringer. Es braucht
nicht der individuelle Eharakter des Werkes erwiesen

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