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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 57.1906-1907

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Schur, Ernst: Das moderne Kunstgewerbe und die Kultur
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https://doi.org/10.11588/diglit.9336#0372

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Das moderne Kunstgewerbe und die Kultur.

H{ u. 7^2. Entwürfe zu einer Festkarte; von Fritz Klee, München.

nau so, oder noch schlimmer. Denn der Fabrikant
von heute ist im letzten Grunde nur Faktor. Er
führt den Willen des Publikums aus, den ahnen zu
können er sich anmaßt. Er wird also, sobald er
seine Dummheit einsieht, energisch bestrebt sein, sich
zu korrigieren, denn sein Geldbeutel mahnt ihn.
Waren der Papst oder der Fürst etwa klügere, an-
genehmere Auftraggeber? Sie handelten und feilsch-
ten. Sie verlangten Änderungen und Zusätze. Sie
hatten schließlich noch die politische Macht und die
wurde oft skrupellos gebraucht. Man erinnere sich
der Kämpfe, die Michelangelo ausfocht! Und. von
wie vielen wissen wir nicht. Gerade, indem der
Künstler dem Einzelnen, der allein ausschlaggebend
war, gegenüberstand, mußte er sich diesem beugen.
Er hatte nicht den Rückhalt in einem künstlerisch ge-
bildeten Publikum. Er war bei weitem wehrloser.
Nur gab es damals noch nicht die phantastische
Vorstellung von der absoluten Freiheit des Künstlers.
Man nahm die Gebundenheit als etwas Selbstver-
ständliches, mit dem Titan von vornherein rechnete.

Untgekehrt kommen die Gegner der modernen
Bewegung zu einer Formulierung, die aus demselben
Motiv entspringt, aus dem Bestrebeu, das eigent-
liche, langsame Werden zu ignorieren und Wolken-

schlösser zu bauen. Aber nur ihre Ungeduld wie
ihre Unkenntnis sind der Grund dieser Spekulationen.
Sie stellen ein Programm auf, als wäre ein Stil
ein Ding, das fix und fertig aus dem Gehirn eines
Künstlers entspränge. Und diesen Künstler, so beteuern
sie, erwarten sie und alles andere, was in der Gegen-
wart sich regt und strebt, kommt ihnen klein vor.
So gewinnen sie zweierlei. Sie sind frei von der
Fülle des Gegenwärtigen, die sie nicht kümmert.
Und sie erscheinen als Apostel, als Verkünder.
Kommt der Stil iticht, so haben sie wenigstens dis
Gebärde der Erwarteitden. Kommt er, so haben
sie den Weg bereitet. Und sie meinen, in dieser
Welt, die sie ehren, würde es nur Künstler geben,
die nicht stehlen.

Diese Argumentation übersieht Eines: Wie ent-
steht ein Stil? Er entsteht durch das intensive Zu-
sammenarbeiten vieler Kräfte. Und gerade darin
ist unsere Gegenwart stark. Stil ist nicht Werk eines
Einzelnen, sondern Produkt oft unkontrollierbarer
Faktoren. Und von dieser Fülle sich abschließen,
heißt der schönsten und ahnungsvollsten Freuden
hoffnungsreicher Menschenarbeit entsagen. Denn
das Große ist doch immer schließlich das Mühen,
und weniger das Fertige. Die Wege interessieren,

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