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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 57.1906-1907

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Schur, Ernst: Das moderne Kunstgewerbe und die Kultur
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https://doi.org/10.11588/diglit.9336#0373

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Drei junge Münchener Graphiker.

weniger das Ziel. pat es der Künstler erreicht, so
sieht er sich schon wieder nach neuen Entfernungen um.

Aber die Gegner der modernen Bewegung ver-
fallen noch in einen anderen Fehler. Sie haben die
vage Vorstellung, als schwebe der Künstler über
allem, als ginge er dagegen unter im Alltagsgetriebe,
als brächte er wie ein Gnadengeschenk von oben
den ersehnten Stil. Dies ist eine gänzlich unmoderne
Auffassung. And die, die sie vertreten, zeigen im
Grunde nur, wie zurückgeblieben ihre Anschauung.
Zhre Gegnerschaft ist im Grunde allgemeinerer Natur:
es ist die Furcht vor den: Leben. Die alten Theorien
stecken ihnen noch im Blut. Denn wenn es ein
Verdienst in der modernen Bewegung gibt, so ist es
doch das, daß sie den Künstler wieder auf festen
Grund und Boden gestellt hat. Sie hat ihm die so
wohltätige Berührung mit dem Leben gebracht. And
der Künstler der Zukunft wird um so nachhaltiger
wirken und eingreifen können, je tiefer er diese
Mission begreift. Die moderne Entwicklung nimmt
ihm die Gloriole eines mißverstandenen Erlösertums,
sie gibt ihm dafür die Stellung eines werktätigen
Arbeiters, der mit und in dem Ganzen strebt.

Der moderne Künstler ist ein Faktor. Einer
unter vielen. Publikum und Fabrikant sind eben-
falls Faktoren. Sie alle arbeiten unbewußt zusam-
men. Das Bewußtsein dieser größeren Zusammen-
hänge des Lebens sind ein Ruhmestitel unserer Zeit.
Man soll den Künstler nicht abseits stellen. Klan

meint vielleicht, ihn damit
zu ehren. Man gibt ihm
aber nur eine künstliche
Isoliertheit. Zn manchem
Sinne: man befreit sich
von ihm. Stellt ihn mitten
hinein ins Leben, so ehrt
ihr ihn mehr. Zhr stellt
ihn höher. Denn ihr
stellt ihn vor die täglich
neuen Forderungen des
Lebens. Und dann wird
es sich bald zeigen, wie
vielseitig die Kräfte sind.
Mir werden Künstler ha-
ben, die mit der Maschine
arbeiten und in ihr denken.
Und neben diesen moder-
nen Künstlern stehen die,
die nur Handwerker sein
wollen, die mit Freuden
an dem Einzelstück arbei-
ten, die dafür entwerfen.
Zn den: einen Falle breitet
sich das neue Streben zukunftskräftig aus; tu dem
anderen wirkt es zurück. Wie einseitig und ver-
schroben wirkt neben diesen Lebensechtheiten der
schematische, verblassene und staue Begriff einer
Künstlerschaft von ehedem.

III.

Und noch von einer anderen Leite suchen diese
Gegner das Ansehen der modernen Bewegung zu
untergraben. Sie sagen: Man soll nicht soviel da-
rüber reden. Wo geredet wird, fehlt die Tat. Das
sei ihnen zugegeben. Aber wie so oft, sehen wir
auch hier: Man darf sich nicht abschrecken lassen.
Fast alle modernen Richtigkeiten sind von einer
ksülle von Falschheiten umgeben, durch die man
mit einem kräftigen, rückhaltlosen „Trotzdem" hin-
üurchdringen niuß. Zwischen Wahrheit und Zrrtum
schwankt immer das Zünglein. Und gerade diese
Skepsis, die uns anerzogen wird, gibt uns die tiefer
dringende Erkenntnis, die selbst unter tausend Falsch-
heiten die eine Wahrheit entdeckt, der wir treu
bleiben, trotz unangenehmer Nachbarschaft. Wir
haben das Gefühl für die Sachlichkeit der Werke.
Nebenmotive kümmern uns nicht. Sk beirren uns
nicht. Und so kommen wir in immer reinere
Sphären, hinaus über Feindschaft und Freundschaft
und sehen immer hüllenloser den Kern.

Und so sagt uns die Erkenntnis: Das Reden,
die Erörterung, so überstüssig sie uns oft scheint, ist

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