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heiligen Jungfrau zum Gegenstand haben. Die histo-
rischen Darstellungen, zu denen verschiedene Künstler,
Rüben, I. Schraudolph, Fischer, Rockel :c. die
Cartons gezeichnet, sind von architektonischen Ornamenten
und Teppichen eingefaßt, in denen Bin Müller seinen
reichen Crfindungsgeist, sein klares Verständniß mittel-
alterlicher Architektur und einen gelauterten Geschmack
in Anwendung derselben gezeigt. Hat man nun einmal
angefangen, allseitigem Verlangen gemäß, die hiesigen
großen Kunstschöpfungen vermittelst Lithographie und
Kupferstich in getreuen und schönen Nachbildungen zu
verbreiten, so durfte natürlich in der Reihenfolge ein
Werk nicht fehlen, das vielleicht vorzugsweise geeignet
ist, die Bestrebungen der neuen deutschen Kunst zu
charakcerisiren, das wenigstens des Ruhmes sich erfreut,
vor andern Sinne und Gcmüth anzusprcchen und zu
gewinnen.
Der Ankündigung gemäß beschränkt sich das Unter-
nehmen vorläufig auf die sieben Fenster des hohen Chors,
in denen Tod und Begräbnis! Mariä, Grablegung und
Auferstehung Christi, Geburt Christi, die Kreuzigung
Christi, Mariä Heimsuchung, Kreuztragung Christi und
die Himmelfahrt und Krönung der Maria abgebildet
sind. Die Abbildungen sind in Stein gravirt und wird
das Ganze in colorirten und in schwarzen Ercmplaren
ausgegeben. Das erste Heft enthält die „Grablegung"
und die „Auferstehung Christi," ferner den „Tod und
die Grabtragung Mariä." Trotz dieses Doppeltodes,
womit das Unternehmen beginnt, trägt es alle Keime
des Lebens, ja sogar viel entwickeltes Leben in sich. Es
ist schon öfter bemerkt worden, daß die Glasmalerei in
München nicht allein der wiedcrgewonnenen Technik ihre
bedeutende Stelle in der neuern Kunstgeschichte verdankt,
sondern eben so sehr dem Styl, i» dem sie ansgeführt
wird, der basirt auf dem alten, doch neue Elemente in
sich hat und gleichzeitig den ernsten kirchlichen, den
architektonisch-ornamentalen und den freien ästhetischen
Anforderungen entspricht. Es haben diese Gemälde nicht
eine ermüdende oder kaltlaffcndc Monotonie und Trocken-
heit, allein sie sind auch weit entfernt von der leicht-
fertigen, nur auf Wohlgefallen durch Bewegung, Haltung,
Formen - und Farbcnrei; berechneten Weise; entsprechend
dem Gegenstand und dem Orte seiner Bestimmung und
belebt vom Geiste der neuen Schule, können sie — vor-
nehmlich in der Gesammtanvrdnung — als Vorbilder für
alle ähnlichen Unternehmungen gelten.
Führen wir uns die Aufgabe etwas näher vor
Augen! Die Fenster haben zu einer Breite von 12' eine
Höhe von 56'. Wollte man nicht nach Weise der Alten
das Ganze in kleine Felder zcrfällc», und statt des
bloßen Farbenspieles von Bildern untergeordneter Di-
mensionen, deren Inhalt meistentheils schwer zu entziffern
ist, größere in Auge und Gemüth eindringende Dar-
stellungen haben, so mußten erst Räume dafür geschaffen,
es mußten Eintheilungen und Anordnungen neuer Art
gemacht werden. Rechnete man nun etwa für eine Dar-
stellung ein Feld von 13' Höhe zu der Breite von 12',
so blieb noch ein großer Theil für bloße Ornamente;
indem man aber das Bild ziemlich in die Mitte rückte,
gewann man Raum (12') für ein hohes Prcdell, das
wiederum eiuc historische Darstellung aufnehmcn konnte
und ließ sodann den Nahmen des Bildes nach Art der
geschnitzten Hochaltäre in vielen Verzweigungen in die
Höhe streben, bis zum Spitzbogenschluß, wo die Archi-
tektur selbst neue Formen schafft, die sodann nur durch
angemessene Verzierungen mosaikartig auszufüllen waren.
Allein mit dieser Anordnung ist nur ein Theil der
Schwierigkeiten gehoben. Der dem Bild angewiesene
Theil wird nun durch die (steinernen) Fensterstäbc nach
der Höhe in fünf Felder von 2' lichter Breite getheilt,
wodurch' dem Maler die Aufgabe erwächst, seine Figuren
so zu stellen, daß sie durch die Stäbe — weder in Haupt-
formen noch Bewegungen — nicht verdeckt, ja daß sie
dadurch nicht einmal getheilt werden, sondern jede stets
vollständig in den Zwischenraum zwischen die Stäbe
fallen. Wie nahe liegt hier die Gefahr durchscheinender,
ja vortretender Absichtlichkeit, Monotonie und Bewe-
gungslosigkeit in der Composition! Wie glücklich aber
ist sie vermieden. Hier gilt es feines, lebendiges Kunst-
gcfühl, das vor anscheinend unerträglicher Beschränkung
nicht zurücktritt, und wir erkennen dasselbe vornehmlich
im Tod und dem Begräbniß Mariä, zweier Darstellun-
gen von ergreifender Wahrheit, wohlthuender Schönheit
und architektonischer Strenge; beide Compositionc» rühren
von I. Schraudolph her.
Ueber die eigentlichen Ornamente, d. h. über die
architektonischen, muß zu dem bereits Angedeutetcn hin-
zugefügt werden, daß — vbschon das Gebäude sich im •
Style des 14tcn Jahrhunderts und innerhalb der durch
denselben vorgezeichncten Grenzen hält — sic vielmehr
in das löte ja löte hineinreichen, was keinem Tadel
unterliegt, da der Malerei diese Weiterbildung um so
eher zu gestatten ist, als dieselbe gerade auf malerischen
Prinzipien ruht.
Haben die bisherigen Andeutungen das Verdienst
des Werkes hervorgehobcn, so weit es die neuere Glas-
malerei im Allgemeinen und die treffenden Glasgemälde
insbesondere angeht und zur Kenntniß und Beachtung
des Styles dieser Kunst die geeigneten Mittel an die
Hand gibt, so darf ei» zweites sehr wesentliches Ver-
dienst nicht übersehen werden, welches in der Weise der
Ausführung der einzelnen Blätter besteht. Ein jedes
Fenster nimmt den Raum von zwei Blättern ein und
zwar so, daß das Hauptgcmäldc auf dem einen, Prcdell
heiligen Jungfrau zum Gegenstand haben. Die histo-
rischen Darstellungen, zu denen verschiedene Künstler,
Rüben, I. Schraudolph, Fischer, Rockel :c. die
Cartons gezeichnet, sind von architektonischen Ornamenten
und Teppichen eingefaßt, in denen Bin Müller seinen
reichen Crfindungsgeist, sein klares Verständniß mittel-
alterlicher Architektur und einen gelauterten Geschmack
in Anwendung derselben gezeigt. Hat man nun einmal
angefangen, allseitigem Verlangen gemäß, die hiesigen
großen Kunstschöpfungen vermittelst Lithographie und
Kupferstich in getreuen und schönen Nachbildungen zu
verbreiten, so durfte natürlich in der Reihenfolge ein
Werk nicht fehlen, das vielleicht vorzugsweise geeignet
ist, die Bestrebungen der neuen deutschen Kunst zu
charakcerisiren, das wenigstens des Ruhmes sich erfreut,
vor andern Sinne und Gcmüth anzusprcchen und zu
gewinnen.
Der Ankündigung gemäß beschränkt sich das Unter-
nehmen vorläufig auf die sieben Fenster des hohen Chors,
in denen Tod und Begräbnis! Mariä, Grablegung und
Auferstehung Christi, Geburt Christi, die Kreuzigung
Christi, Mariä Heimsuchung, Kreuztragung Christi und
die Himmelfahrt und Krönung der Maria abgebildet
sind. Die Abbildungen sind in Stein gravirt und wird
das Ganze in colorirten und in schwarzen Ercmplaren
ausgegeben. Das erste Heft enthält die „Grablegung"
und die „Auferstehung Christi," ferner den „Tod und
die Grabtragung Mariä." Trotz dieses Doppeltodes,
womit das Unternehmen beginnt, trägt es alle Keime
des Lebens, ja sogar viel entwickeltes Leben in sich. Es
ist schon öfter bemerkt worden, daß die Glasmalerei in
München nicht allein der wiedcrgewonnenen Technik ihre
bedeutende Stelle in der neuern Kunstgeschichte verdankt,
sondern eben so sehr dem Styl, i» dem sie ansgeführt
wird, der basirt auf dem alten, doch neue Elemente in
sich hat und gleichzeitig den ernsten kirchlichen, den
architektonisch-ornamentalen und den freien ästhetischen
Anforderungen entspricht. Es haben diese Gemälde nicht
eine ermüdende oder kaltlaffcndc Monotonie und Trocken-
heit, allein sie sind auch weit entfernt von der leicht-
fertigen, nur auf Wohlgefallen durch Bewegung, Haltung,
Formen - und Farbcnrei; berechneten Weise; entsprechend
dem Gegenstand und dem Orte seiner Bestimmung und
belebt vom Geiste der neuen Schule, können sie — vor-
nehmlich in der Gesammtanvrdnung — als Vorbilder für
alle ähnlichen Unternehmungen gelten.
Führen wir uns die Aufgabe etwas näher vor
Augen! Die Fenster haben zu einer Breite von 12' eine
Höhe von 56'. Wollte man nicht nach Weise der Alten
das Ganze in kleine Felder zcrfällc», und statt des
bloßen Farbenspieles von Bildern untergeordneter Di-
mensionen, deren Inhalt meistentheils schwer zu entziffern
ist, größere in Auge und Gemüth eindringende Dar-
stellungen haben, so mußten erst Räume dafür geschaffen,
es mußten Eintheilungen und Anordnungen neuer Art
gemacht werden. Rechnete man nun etwa für eine Dar-
stellung ein Feld von 13' Höhe zu der Breite von 12',
so blieb noch ein großer Theil für bloße Ornamente;
indem man aber das Bild ziemlich in die Mitte rückte,
gewann man Raum (12') für ein hohes Prcdell, das
wiederum eiuc historische Darstellung aufnehmcn konnte
und ließ sodann den Nahmen des Bildes nach Art der
geschnitzten Hochaltäre in vielen Verzweigungen in die
Höhe streben, bis zum Spitzbogenschluß, wo die Archi-
tektur selbst neue Formen schafft, die sodann nur durch
angemessene Verzierungen mosaikartig auszufüllen waren.
Allein mit dieser Anordnung ist nur ein Theil der
Schwierigkeiten gehoben. Der dem Bild angewiesene
Theil wird nun durch die (steinernen) Fensterstäbc nach
der Höhe in fünf Felder von 2' lichter Breite getheilt,
wodurch' dem Maler die Aufgabe erwächst, seine Figuren
so zu stellen, daß sie durch die Stäbe — weder in Haupt-
formen noch Bewegungen — nicht verdeckt, ja daß sie
dadurch nicht einmal getheilt werden, sondern jede stets
vollständig in den Zwischenraum zwischen die Stäbe
fallen. Wie nahe liegt hier die Gefahr durchscheinender,
ja vortretender Absichtlichkeit, Monotonie und Bewe-
gungslosigkeit in der Composition! Wie glücklich aber
ist sie vermieden. Hier gilt es feines, lebendiges Kunst-
gcfühl, das vor anscheinend unerträglicher Beschränkung
nicht zurücktritt, und wir erkennen dasselbe vornehmlich
im Tod und dem Begräbniß Mariä, zweier Darstellun-
gen von ergreifender Wahrheit, wohlthuender Schönheit
und architektonischer Strenge; beide Compositionc» rühren
von I. Schraudolph her.
Ueber die eigentlichen Ornamente, d. h. über die
architektonischen, muß zu dem bereits Angedeutetcn hin-
zugefügt werden, daß — vbschon das Gebäude sich im •
Style des 14tcn Jahrhunderts und innerhalb der durch
denselben vorgezeichncten Grenzen hält — sic vielmehr
in das löte ja löte hineinreichen, was keinem Tadel
unterliegt, da der Malerei diese Weiterbildung um so
eher zu gestatten ist, als dieselbe gerade auf malerischen
Prinzipien ruht.
Haben die bisherigen Andeutungen das Verdienst
des Werkes hervorgehobcn, so weit es die neuere Glas-
malerei im Allgemeinen und die treffenden Glasgemälde
insbesondere angeht und zur Kenntniß und Beachtung
des Styles dieser Kunst die geeigneten Mittel an die
Hand gibt, so darf ei» zweites sehr wesentliches Ver-
dienst nicht übersehen werden, welches in der Weise der
Ausführung der einzelnen Blätter besteht. Ein jedes
Fenster nimmt den Raum von zwei Blättern ein und
zwar so, daß das Hauptgcmäldc auf dem einen, Prcdell