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Kunstblatt.

Wienstag, -en 11. Oktober 1812.

Ueber -en gegenwärtigen Kustan- der fran-
zösischen Schule und den Pariser Salon im
Jahr 1812.

(Fortsetzung zu Nr. 55.)

Die in Frankreich in so hohem Grad^ ausgebildete
Aquarellmalerei lieferte manche vortreffliche Stücke,
die uns erstaunen lassen über die Tiefe, Energie, Klar-
heit und Saftigkeit, in welcher hier die Wasserfarbe mit
den kräftigsten Oelgemälden wetteifert. Das große Aquarell
von Decamps, die Entlassung einer türkischen Knaben-
schule, ist ein Bild von wirklich genialer Laune und
Grazie, von origineller Erfindung und feiner Natur-
beobachtnng. Man hat keine Vorstellung von dem lustigen
Gewimmel dieser kleinen, höchst schlotterig, aber un-
gemein pittoresk gekleideten Unbände, die spornstreichs
der Ruthe ihres Pädagogen entlaufen, dessen altsaurcs,
griesgrämlich bebrilltes Affengesicht im Hintergründe zur
Thür hinausglotzt und auf's pikanteste abstuft gegen die
jubelnde Freude, die sich unter der jungen muselmänni-
schen Schulbrut äußert. Das Augenblickliche, Lebendige
und Mannigfaltige in den Motiven der mit Fvhlen-
weidlichkeit aus dem Buchstabirstall hiuausstürzendcn
Buben ist unbeschreiblich; Mienen, Gcbcrden und Be-
wegungen sind ganz der Natur abgelauscht: Einer tanzt
auf einem Fuß und läßt die Arme schlenkern; ein anderer
ist gestolpert und nun trampelt die ganze Classe über
ihn weg; ein dritter schießt voraus wie ein Habicht, der
nach der Beute stößt; und im Mittelgründe machen
zwei allerliebue Bubengesichter, im vollen Sonnenlichte
genommen, eine sehr schlagende und anziehende Wirkung,
wenn gleich der Contrast ihrer blendenden Weiße mit einem
dazwischen hervorguckenden kleinen Negerkopf etwas Ge-
suchtes hat. Das Schulhaus wirft mit seinem breiten
Giebel einen Schatten über die Mauer an der rechten
Seite, der indes? bei der vollen Sonnenbeleuchtung,
worin das Bild genommen ist, fthx holl ist und Dc-
camps Gelegenheit gegeben hat, seine Meisterschaft im

Helldunkel im hohen Grade zu zeigen. Wie in dem
Schlagschatten und bei der Helligkeit des Licht- und
Localtons, mit der feinsten Kenntniß und Benutzung
der sonnigen Reflere, mit der genauesten Beobachtung
der Luftperspective durch die zarteste Abtönung, alle Theile
des schönen Bildes in der seltensten Klarheit und Wahr-
heit durchgeführt sind, davon kann man sich, ohne das
Original gesehen zu haben, keinen Begriff machen. Eine
so hohe Ausbildung der Aquarellmalerei, >vie sie hier
erreicht ist, habe ich bisher für unmöglich gehalten. Zwei
seltsame Zeichnungen von Decainps, eine Episode ans
der Niederlage der Cimbern und eine andere aus der
Belagerung von Clermont, phantastische Schlachtstücke,
wo allerlei Schreckens - und Vcrzweiflungsmomcnte mit
energischer, aber ertravaganter Phantasie dargestellt sind,
behagen mir ungleich weniger; die mannigfaltigen und
ergreifenden Motive, ebensoivohl wie die Auffassung des
Ganzen zeugen von reicher Erfindungsgabe, aber es fehlt
Zusammenhang, Gruppirung und Deutlichkeit. Merk-
würdig ist bei dein poetisch-phantastischen Sinn und bei
dem entschiedenen Anspruch auf Styl, welche in beiden
Compositionen walten, das Bestreben nach Natürlichkeit,
ja nach historischer Wahrheit in den kleinsten Neben-
dingen, wie in dem wunderlichen Barbarenpntz und dem
vergoldeten Pferdegeschirr; auch die im Vergründe der
Cimbernschlacht mit gcnreartiger Ausführlichkeit, übrigens
trefflich behandelten Büffel nehmen sich in einem styli-
sirtcn Ganzen unpassend aus, und im Grunde genommen
machen diese Zeichnungen den Eindruck, >vic zwei Blätter,
worauf ein origineller Künstler verschiedene, ihm ein-
fallcnde und zusagende Motive ganz zufällig und will-
kürlich znsaminengestellt hat. Als ernste, historische
Compositionen betrachtet, erscheinen sie wie Verirrungen
eines bedeutenden Talents; französische Kritiker aber
bewundern diese Bilder als besonders kühn und genial.
— Eine geistreiche, freie Technik in Wasserfarben fand
ich in den landschaftlichen Ansichten aus der Schweiz
und Normandie von I. B. Hubert. Alle Vortheile,
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