2tz 4t.
Kunstblatt.
Picnftag^ 24. Mai 1842,
Literatur.
1) lieber die Entwickelung der Architektur vomlOtcn
bis 14ten Jahrhundert unter den Normannen in
Frankreich, England, Unteritalien und Sicilien
von Henry Gally Knight. Aus dem Eng-
lischen mit einer Einleitung von vr. C. Richard
Lepsius, Leipzig 1841. gr. 8. 388 S. mit
23 lithogr. Bl.
2) lieber den Ursprung des Spilzbogcnstyls vom
Prof. Wieg mann. Düsseldorf 1842.
Die Entstehungsgeschichte des schönen Baustyls, den
wir den gothischen nennen, ist bekanntlich eine vielfach
erörterte, noch nicht völlig aufgeklärte. Sie darf nicht
verwechselt werden, aber sic hängt doch zusammen mit
der Frage über die Entstehung des Spitzbogens, der be-
kanntlich zwar auch in Bauten andern Styls verkommen
kann und vorkommt, auf dessen consequcnter Durchfüh-
rung in allen Theilen aber doch jene Bauweise beruht.
Diese letzte Frage ist nun jetzt ihrer Entscheidung wenig-
stens so weit näher gebracht, daß man (mit Beseitigung
der abenteuerlichen Hypothesen oder ungenügenden Der-
muthungen, die man früher verrheidigte) die Meinungen
darüber auf zwei Klassen zurückführen kann. Von einer
Seite behauptet man, daß diese Vogenform von den
Arabern zuerst angewendet, von ihnen entlehnt, und so
in den Gebrauch des Abendlandes übcrgcgangcn, von
der andern, daß sie hier einheimisch, durch bewußte oder
zufällige Erfindung aufgekommen sey. Die Anhänger
der ersten Ansicht sind dann wieder unter sich gethcilt,
indem einige diese arabische Form von Aegypten nach
Sicilien und dem südlichen Frankreich übergehen lasse»,
während andere annehmen, daß unser Abendland erst
während der Kreuzzügc im Orient diesen Bogen kennen
gelernt habe. Auch die andere Meinung, welche die
cinheimischc Entstehung anerkennt, sondert sich, wenn
auch weniger scharf, indem entweder der geistige Factor
der romantischen Stimmung oder der Einfluß einer tech-
nischen Rücksicht mehr herausgehvben wird.
Indessen scheinen auch diese Parteien sich jetzt zu
nähern, und über sehr wesentliche Punkte ist man einig.
So kann man wohl nicht mehr bezweifeln, daß der Spitz-
bogen selbst in einigen Ländern des Orients früher
als im Abendlande vorgekommen, und es fragt sich nur,
ob man ihn bei seinem ersten Erscheinen im Abendlandc
als von dorther eingeführt, oder ob er unabhängig davon
entstanden sey. Auch die, welche eine Ueberlieferung der
Bogenform annehmen, geben indessen zu, daß die An-
wendung desselben zu dem gothischen System nicht von
den Arabern entlehnt, sondern dem Abendlande eigen-
thümlich sey. In Beziehung auf diese abendländische
Ausbildung des gothischen Styls fragt sich daun weiter,
welchem Lande man die Entstehung desselben zuschreiben
soll?
In den obengenannten Schriften werden die meisten
der hier angcdeuteten Fragen wieder erörtert, und zum
Theil, wie Ref. glaubt, befriedigend beantwortet. Die
erste, die Schrift des Hrn. Gally Knight, berührt meh-
rere derselben.
Neben dem wissenschaftlichen Interesse hatte sich
nämlich (wie cs in allem Historischen und besonders im
Kunsthistorischen nicht selten geschehen ist) eine nationale
Eifersucht in den Streit gemischt. In England, wo nian
der Baukunst des Mittelalters zuerst die Liebe zuwen-
dete, deren sie sich jetzt im allgemeiner» Kreise erfreut,
benannte man die verschiedenen Entwickelungsstufen der-
selben nach einheimischen historischen Ereignissen und setzte
schon damit die einheimische Entstehung voraus. In
Frankreich entstand das Interesse für diese Gegenstände
weit später, wurde aber sogleich mit der gewohnten Leben-
digkeit ergriffen, und hier ging nun aus der Mitte einer
I Gesellschaft von Alterthumsfreunden die Behauptung aus,
daß in Frankreich, und zwar in der Normandie, nicht
bloß der Spitzbogen, sondern schon das entwickelte gothische
Kunstblatt.
Picnftag^ 24. Mai 1842,
Literatur.
1) lieber die Entwickelung der Architektur vomlOtcn
bis 14ten Jahrhundert unter den Normannen in
Frankreich, England, Unteritalien und Sicilien
von Henry Gally Knight. Aus dem Eng-
lischen mit einer Einleitung von vr. C. Richard
Lepsius, Leipzig 1841. gr. 8. 388 S. mit
23 lithogr. Bl.
2) lieber den Ursprung des Spilzbogcnstyls vom
Prof. Wieg mann. Düsseldorf 1842.
Die Entstehungsgeschichte des schönen Baustyls, den
wir den gothischen nennen, ist bekanntlich eine vielfach
erörterte, noch nicht völlig aufgeklärte. Sie darf nicht
verwechselt werden, aber sic hängt doch zusammen mit
der Frage über die Entstehung des Spitzbogens, der be-
kanntlich zwar auch in Bauten andern Styls verkommen
kann und vorkommt, auf dessen consequcnter Durchfüh-
rung in allen Theilen aber doch jene Bauweise beruht.
Diese letzte Frage ist nun jetzt ihrer Entscheidung wenig-
stens so weit näher gebracht, daß man (mit Beseitigung
der abenteuerlichen Hypothesen oder ungenügenden Der-
muthungen, die man früher verrheidigte) die Meinungen
darüber auf zwei Klassen zurückführen kann. Von einer
Seite behauptet man, daß diese Vogenform von den
Arabern zuerst angewendet, von ihnen entlehnt, und so
in den Gebrauch des Abendlandes übcrgcgangcn, von
der andern, daß sie hier einheimisch, durch bewußte oder
zufällige Erfindung aufgekommen sey. Die Anhänger
der ersten Ansicht sind dann wieder unter sich gethcilt,
indem einige diese arabische Form von Aegypten nach
Sicilien und dem südlichen Frankreich übergehen lasse»,
während andere annehmen, daß unser Abendland erst
während der Kreuzzügc im Orient diesen Bogen kennen
gelernt habe. Auch die andere Meinung, welche die
cinheimischc Entstehung anerkennt, sondert sich, wenn
auch weniger scharf, indem entweder der geistige Factor
der romantischen Stimmung oder der Einfluß einer tech-
nischen Rücksicht mehr herausgehvben wird.
Indessen scheinen auch diese Parteien sich jetzt zu
nähern, und über sehr wesentliche Punkte ist man einig.
So kann man wohl nicht mehr bezweifeln, daß der Spitz-
bogen selbst in einigen Ländern des Orients früher
als im Abendlande vorgekommen, und es fragt sich nur,
ob man ihn bei seinem ersten Erscheinen im Abendlandc
als von dorther eingeführt, oder ob er unabhängig davon
entstanden sey. Auch die, welche eine Ueberlieferung der
Bogenform annehmen, geben indessen zu, daß die An-
wendung desselben zu dem gothischen System nicht von
den Arabern entlehnt, sondern dem Abendlande eigen-
thümlich sey. In Beziehung auf diese abendländische
Ausbildung des gothischen Styls fragt sich daun weiter,
welchem Lande man die Entstehung desselben zuschreiben
soll?
In den obengenannten Schriften werden die meisten
der hier angcdeuteten Fragen wieder erörtert, und zum
Theil, wie Ref. glaubt, befriedigend beantwortet. Die
erste, die Schrift des Hrn. Gally Knight, berührt meh-
rere derselben.
Neben dem wissenschaftlichen Interesse hatte sich
nämlich (wie cs in allem Historischen und besonders im
Kunsthistorischen nicht selten geschehen ist) eine nationale
Eifersucht in den Streit gemischt. In England, wo nian
der Baukunst des Mittelalters zuerst die Liebe zuwen-
dete, deren sie sich jetzt im allgemeiner» Kreise erfreut,
benannte man die verschiedenen Entwickelungsstufen der-
selben nach einheimischen historischen Ereignissen und setzte
schon damit die einheimische Entstehung voraus. In
Frankreich entstand das Interesse für diese Gegenstände
weit später, wurde aber sogleich mit der gewohnten Leben-
digkeit ergriffen, und hier ging nun aus der Mitte einer
I Gesellschaft von Alterthumsfreunden die Behauptung aus,
daß in Frankreich, und zwar in der Normandie, nicht
bloß der Spitzbogen, sondern schon das entwickelte gothische