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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 9.1874

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Wilhelm v. Kaulbach
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Valentin, Veit: Aesthetische Ketzerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.4816#0216

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427

Wilhelm von Kaulbach. — Aesthetische Ketzerei.

der Künstlerschaft Müncheus und der deutschen Kunst-
genossenschaft und Professor Riehl. Der Erstere schil-
derte den Lebensgang des Verblichenen und seine künst-
lerische Bedcutung. Zn Kaulbach hätten Wissenschaft
nnd Knnst dcn innigsten Bunv geschlossen gehabt. Keiner
sei ein Darsteller der Kulturgeschichtc und ein philo-
sophischer Künstlcr gewesen wic er.

Während die Schollen aus den Sarg niedcrfieleii,
trug die Sängergcnosseiischast den Choral: „Unter den
Stcrncn wohnt Gottcs Frieden" vor, und unter den
letztcn Klängcn bedcckte sich der Grabhügel mit un-
zähligen Blnnieiispcnden.

Unter dcn letzten Schöpfungen Kaulbach's dürfte
der Karton der „Sündflnth", den er nahezn vollendct
zurückgclassen haben soll, die bedeutcndstc scin. Außer-
dem berichtet nian vou einer Koniposition, wclchc dcn
„Hciligcn deutschcu Diichcl darstcllt, wie cr das Papst-
thuni, dic Napoleoniden und das Heidenthum mit hoch-
gcschwungeiicin Schwerte niederschmettert", von dein
Mcister durch eigcnhändige Unterschrift „deni tapfereu
dentschen Hccre" gcwidmct. Wir behalten die Würdi-
gung dieser Werke und dic Gesainintcharakteristik des
Aleisters einer spätcrcu Stnnde vor.

sAelihetische Äetzerei.*)

Wie im natürlicheu Leben, so iiiich auch im künstle-
rischen nnd nicht niindcr im wissenschaftlichcn Lcben zu- !
weilen eiu kräfiigcr Hauch wchcn, der rücksichtslos dic
erslorbenen Blättcr nnd Zwcige hcrabjagt, abcr den mil
echleni Lebenssaft crfütltcn Keimcn Erguickuug bringt
Ueberwiegt unter dcr Zahl dcr Belroffenen Lie Klasse
dcr Altersschwacheu, der nur von eincm Schcinlebcn I
Zehrcnden, so erschcint wohl jener frischc Hauch wie ein
kecker Eingriff in dic berechtigtcn Eigenthüinlichkeiten,
nnd er darf sich nicht wundern, wcun irgend inöglich,
zurückgewicscn oder doch vcrschrieen zu wcrvcn. Uin so
srcndiger aber wird er von dcnen begrüßt wcrdcn, dercn
Kraft durch ihn gestählt, viellcicht gar erst über ihr
iniierstes Wescn znni Bewußtsein gebracht wird. Und
so wird anch daS Schicksal jencr zwölf Briefe seiu,
deren Verfasser sich sclbst als Kctzcr bczeichnct und der
Vadurch nüt volleni Bewusilsein einer hcrrschenden Nich-
tuug cntgcgentritt. Wie schlecht aber iniiß cs uin die
Orthvdoxie derselben bestellt sein, wenn der Vertretcr
einer springenden Wahrheil, und daruni gerade eincr
einfacheu, sich als Ketzer fühleu innß! Daß cr Recht
init diesem Gefühl hat, ist daruni nicht wcniger wahr.

Die Kunst „kann nur in der Rückkehr zur Natur
ihre Jugend wiederfindcn" (S. 87) — das ist die

*) Zwöis Briefe eines ästhctischen Ketzers. Berliu, Nobert
Oppenheim. 1874. 118 S. 8.

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Wahrheit, und daß die hcutige bildende Knnst nicht auf
diesem Wege oder doch nicht in der rechten Weise aus
diesein Wcge ist — das ist die Ketzerei. Will dicse wie
jedc Ketzcrei zur Orthodoxie werden, so niuß sie der
herrschenden Richtnng gchörig zn Leibe rückcn, darnm
„ist der größtc Dienst, dcr eiuzige, den wir dcr aus-
wachsenden Generation leisten köniien, kein posiliver, cr
ist ein negativer." (S- 5). Es ist viel Schntt hinweg-
zilräunien, viele Jdeen sind zu zerstören, und dazu bc-
barf es cines großen Muthes, des Mnthes „resolut un-
wissend zn scin in unserer Tagesliteratur, unscrer Ta-
geswcishcit, unserer Tagesknnst, sich bei den großen
Orakeln selbst Raths zu erhvlen." Geht doch dic ganze
diichtung nnserer Zeit daraus aus, gerade im Gcgen-
thcil die Gedanken, die Anschaiiungeii nicht ans den
Gegenständen, aus der Natur selbst zu holcn, sondern
erst sorglich zn fragen, was alle die Andercn bercits
darüber gedacht, wie sie es augeschaut haben. klnd um
so größer ist dic Gcfahr, je ernster cs Eineni uni die
Sache zu thun ist, je mehr niau als Blann des Faches
zn gelten wünscheu muß, damit das Geschaffene doch
nicht von vornherein von den „Fachmännern", die so
leicht nnd gern sich wie cnghcrzige Znnftgcnvssen an-
einandcr an- nnd vvr jcdcm frischen, unniittelbaren Blick
abschließen, rücksichtslos zurückgewiesen oder einfach todt-
gcschwiegen werde. Schvn Goethc sagt darübcr: „Alle
Männer von Fach sind darin sehr übel daran, daß ihuen
nicht crlaubt ist, das Unnütze zu ignorircn." Er hälte
hinzufügen können: weil sie sonst von denen znrückgc-
wicsen würden, deren Geschick vor allen Dingcn darin
bestcht, das; sie alles übcr cincn Gcgcnstaud Gcsagte zn-
sammciitragen, noch einnial sagcn nnd danüt die Sachc
gründlich behandelt zu haben glauben. Jn Knnst nnd
Wisscnschaft aber wird nnr dcrjenigc wirklich fördern,
dcr selbst seine Aiischannugen sich aus der Wirklichleit
holt und iu ihrcr Vcrarbeilnng „er selbst zu seiu
wagt", wie z. B. Bhrou es gcthan. Da heißt cs denn
sich heransreißen aus dem Fornialismus, dcr „Reinheit"
akademischcr Formen, dcm cinseitigen ZdealiSmus, wel-
chen in Deutschland, nach des „Kctzers" Auffassung,
Wiiickclinann verschnldet hat, und dcm svdanu ein eben-
so cinscitiger Realismus, ein plnmper Natnralismns
enlgegengetrcten ist. Jcdes wahre Kuiistwerk aber nmß
zuglcich rcalistisch sein, d. h. cs innß von der Wirklich-
keit ansgehen, nicht aber etwa gar ȟl ihr im Streitc
liegen, n n d idealistisch, d. h. cs ninß iieben der vollen
Zndividnalität des Gegenstandcs anch die plalonisch^
Zdce desselben darstellen (S. l t), die dcr „Ketzer" aber
dvch wvhl nicht als einc absolnte auffaßt, wie es Scho-
pcnhancr thnt, — sie inüßtc sich dann, weiin nicht jedei»
Bieuschen, so doch wenigstens jedem wahren Liünsller in
gleicher Weise offenbaren, waS gcgen die Evidenz ihrer
Werke wäre, — sonderu wvhl nur als eine relativ d. h-
 
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