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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 9.1874

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559

Kimstliteratur.

560

kuiistliteratilr.

Eriiincrungcil nnd Lcbcn dcr Malerin Loniie Scidlcr.

Aus handschristlicheni Nachlaß zusaiumcngcstellt und

bearbcitet von Hcrmann Uhde. Berlin, W. Hcrtz.

1874. 8».

Dem deutschen Leser haften die golvenen Blätter
aus Goethe's Wahrheit und Dichtung so hell in der
Erinnerung, daß immer willkommen erscheint, wer
uns durch Mittheilungen aus des Altmeisters Lebens-
jahren in eine ähnlichc Stinnnnng zu versetzen vermag.

Biele Gestalten haben sich in den Zauberkreis ge-
drängt, den Gocthe gezogen; anch die von Hermann
Uhde „aus handschriftlichem Nachlaß" mit Sorgfalt
und emsigem Fleiße zusammengestellten Aufzeichnungen
hauchen dem Schatten der Malerin Lonise Seidler (geb.
zu Jena 1786 am 15. Mai — gest. 1866 zu
Weimar) wicder frisches Lcbcn ein. Nach klcinen
Jugend- und Familiencreignissen, die an und fnr sich
bedeutungslos erschcinen, abcr dcr Darstcllung das Ge-
präge dcs wahrhaft Erlebten und Empfnndeneii auf-
drücken, während auf jeder Seite freundlich-helle Streif-
lichter auf Goethe fallen, werden wir allmählich in ein
größeres Leben eingeführt. Jnteressaut bleibt es stets,
bei Künstlern nnd Dichtcrn die crsten Anfänge dcr Kunst
zu belauschen, ihre eigene Erktärung nnd Erinnernng
hierüber zu vcrnehmen. Louise Seidlcr, die drei Jahre
in einem Pensionat zu Gotha verlebte und znr Jungfrau
gereift nach Jena in's ElternhanS zurückkehrte, gibt uns
sreilich hierüber wcnig Anfschluß; es ist im Anfang
ihrer Biographie mehr von Mnsik als von Malerci
die Rede. Allein cs ist cinc hänfig beobachtete Er-
scheinung, daß sich bei Künstlern und Geistern zweiten
Ranges erst spät die Lebensentscheidung einstellt, wäh-
renv sich das Genie früh selbstbewußt der Richtung
hingiebt, in der es Großes zu leisten bernfen ist. Es
schweben nun die Silhoucttcn von Minna Herzlieb,
Tieck, Dorothea, dem alten Knebel an uns vorüber,
bis die Pastellkopicn des Malers Roux aus Dresden
auf das empfängliche Gemüth nnsercr Heldin den
lebhaftcsten Eindruck machen. Ueberraschend schnell
kommt ihr nach der Schlacht bei Jena mit dem Ober-
arzt Geoffroy vom Corps Bernadotte's das Brautglück,
unv aus derselbcn Seite schreibt sie: „Allein cs sollte
„nicht von langer Daucr sein; die Pflicht rief den
„theuren Mann von meiner Seite. Ein Briefwcchsel
„fvlgte — die herzlichen Zeichen trenester Liebe liegen
„vor mir; niehr als ein halbes Jahrhundert ist seitdem
„geschwunden, mein Haar ist gebleicht, mein Gesicht ge-
„furcht, mein Auge stumpf. Aber dennoch kann ich nur
„mit tiefer Bewegung die vergilbten Blätter betrachten,
„wclche seine theuren Schriftzüge tragen nnd wclche
„man eines Tages mit mir einsargen wird."

Fortan gehört ihr Leben der Kunst, der Freund-
schaft, der Kindesliebe und den Bedrückten nnd Noth-
leidenden. Wir hören, daß sie lrotz dem nun folgenden
Ungemach und Seelenschmerz, oder vielmehr znr Abhülfe
und Linderung, sich in Musik und Zeichenkunst vervvll-
koinmt. Aber crst in Dresden wird es ihr vor un-
stcrblichen Gcmälden klar, was noch ihre Lebensaufgabe
scin kann. Sie sieht Goethe'n in der Galerie, cr
intercssirt sich für die Künstlerin nnd die Beziehungcn
erhalten sich bis zum Tode. Sie malt ihn und vurch
seine Vermittlung manchcs andere Porträt.

Kriegszeilcn konimen und gchen — 1813 — wir
crfahren, wie Professor Rieser mit Goethe über die großcn
Wcltereignisse spricht und sie sich dahin einigen: „Daß
„Frankrcich im Kampfe rnit England untergehcn müßte,
„wcil das Meer gewaltiger und lebendiger als dic
„starre Erde ist und bcide Elemente burch Feuer re-
„präsentirt werden!" Ein thcoretischcr Ausspruch, der
heute Manchen svnderbar anmutheu mag.

Jn München geht Lonise bei Schelling unv Zaeobi
aus und cin und genicßt den Unterricht Langer's. Sie
malt eiiicn Christns als „Wischnu", nach eincm grvteskeu
Auftrag dcs HerzogS August von Gvtha. Der nvrvische
Dichter Atterbom sieht das Bild im Werden und pro-
phezeit, daß cs wirklich ein Meisterstück poetischer
Malerei werde. Durch die matcrielle Unterstützung
des wunderlichen Herzogs kvmmt sie endlich nach Nom,
von Hcnrictte Herz angeregt. Dvrt verlebt sie mit
Bkämiern und Franen, deren Namen heute alle der
Kunst- und Literaturgcschichte angehören, selige Tage,
den Lenz nnd den Sonimcr ihrcs Lebens.

Jnteressante Liebesbeziehungen Thorwaldsen's deckt
uns ihr römisches Tägebuch aus, die Zauberlaterne führt
auch Grillparzer vorbci, nnd cine Ncihe von römischcn
und neapolitanischen Schilderungen, dem unmitlclbarcii
Eindruck entstaiumciid, liest sich angcnehm wie ein Ro-
man, denn Leid und Freud zieht, wie das Lebcn, an
uns vorüber.

Jn Florcn; kopirt sie die Madvnna Tempi und
dcl Granduca, sowie die del Cardellino, wclchc letztere
Kopie Friedrich Preller als „die beste erklärt, die er jc gc-
sehcn." Nach Rom zurückgekehrt, tritt sic dem Hause Rie-
buhr's näher; die Sciten, dic sie dem Aiigedenkeu dicser
Zeit und diesen Gestalten widmet, sind von wahrhaft
rührender, liebenswürdiger Einfachheit nnd Ansprnchö-
losigkeit. ZmJahre 1823, 36Jahre alt, verläßt sie Rom,
um ihren krankcn Vater zu pflcgen, und die besrenndetcn
Künstler vereinigen sich zu einem sinnigen Abschieds-
feste, das sie in crgreifenden Worten schildert.

Mit svnderbarer Bewcgung erblickt der Lescr das
nächste Blatt, das die Zahten l823—1866 trägt. Sie
selbst schildcrte eben den Höhepnnkt ihres Glücks uud
fragt sich, „ob es nicht besser sei, an der Pyramide des
 
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