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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 9.1874

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Korrespondenz Wien, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4816#0180

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Korrespondenz.

fesselnder; sclbst die Widerwilligen werden dadnrch zur
Achtung vor der unlängbar großen Begabung und den
hohen Jntcntionen des originellen Meisters genöthigt.

Was uns an Fenerbach stets als das Erfreulichste
crschienen ist nnd was uns jetzt mit frohen Hoffnungen
erfüllen muß, nachdem der Künstler sich in der Mitte
einer großen Schülerzahl nnd zur Anwartschaft auf be-
dentendc Auflräge moiminentaler Art berufen sieht: das
ist sein entschiedener Bruch mit der zur leeren Schab-
lone herabgesunkenen'deutschen Historienmalerei und sein
muthiges Bekennen eines franken Nealismus, der sich
nur dnrch sich sclbst Gesetze vorschreibcn läßt. Wo dieses
Selbst ein so cdlcs und crnstes ist, da braucht nns vor
den Gefahren des NaturaliSmus vorläufig nicht bange
zu sein. Seien wir vielmehr froh, daß es einmal wieder
ein selbstständig denkcnder, die Natnr mit eigenen Augen
anschaucnder Meister ist, den eine glückliche Wahl in
unsere Mitte führte!

Auch cinen wciblichen Studienkopf hat Feuerbach
noch ausgestellt, der zu dcn Borzügen großer Formenan-
schauung und vornehmer Zeichnung den Reiz höchst sorg-
fältiger malerischer Durchbilduug gcsellt. Besonders die
lässig herabhängende linke Hand ist cin Meisterstück der
zartesten Modellirung; bcm sinnend herabblickenden Kopf
wäre ein kräftigeres Relief zu wünschen gewescn Die
Gesammtwirkung ist prächtig. Dcr lichte, zart geröthcte
Fleischton bildet mit dem von Weinlaub nmrankten
schwarzen Haar und dcm orange-rothcn Mantel eincn
uugemein wohlthuenden Farbcnakkord.

Gcgenüber dcm lebhaftcn Jnteresse, welches dic
Schöpfungen des neucn Prvfessors an unscrer Akademie
erwecken, haben die übrigen Werke eincn schweren Stand.
Die meisten derselben sind auch schon von der Weltaus-
stellung her bekannt odcr sonstwo bereits zu schcn ge-
wesen. Zch fand aber doch manches Beachtenswcrthc
und auch Neuc. So z. B. einige trefstiche kleine Gcnrc-
studien und Portraits von Baucrn und Handwerkern
von Professor Karl Blaas, die wegen ihrer seltenen
Schlichthcit und frischen,derben Wahrheit bei sorgsainstem
Flciße dcr Ausführung warme Anerkennnng verdienen
und anch schnell ihrc Liebhaber gefundcn haben, trotz
dcr schlechten Zeiten. Ferner ein fein gezeichnetes, nur
ini Ton etwas flaues Modellbildchcn, „Das Morgenbad"
betitelt, von dem jnngen talcntvollen Lndwig Minnige-
rodc. Dann ein ebenfalls von viel Talent und tüch-
tigem Studium zeugendes Bild, in dcr Art dcs Fran-
zosen Tvnlmouche, von C- Propst, das unS eine jnnge
Dame im weißcn Atlaskleide bclauschen läßt, wic sic sich
eben aus eineni prächtig gemalten reichen Rcnaissance-
Schrank ciu — vermuthlich verbotenes — Buch hcraus-
holt. Die Nebensachen sind übrigens an dem Bilde
weit besser als die Hauptfigur, und an dieser am schwäch-
sten der Kopf. Ganz in der Nachahmung Makart's ist

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der malerisch reich begabte Joh. Fux befangen, von dem
wir ein Kinderportrait von brillanter Wirküng in reich
geschnitztcm Rahmen ausgestellt finden, das trotz mancher
hübschen Dctails — besonders das Hündchcn gchört
dazu — doch bei näherer Betrachtung wenig befriedigt-
Die Behandluug ist eine gar zu wüste; von der Frische
und Naivetät der Kindesnatur kommt nichts zur Gel-
tung. Jm ersten TurnuS dcr Auöstcllnug sahen wir
auch das vou Zhrem Düsseldorfer Korrespoudenten schvn
bcsprochene Bild von Knans: „Spielende Kinder", im
Lehm herumknetend; im Hintergrnnde cine Heerde sym-
bolischer Fcrkel. Das Bild hat dic köstlichsten Einzeln-
heiten; so z. B. gehvrt die Kleine vorn links, dcren
Finger von ihrer Emsigkeit im „Bauen" dic bcredtesten
Zengnisse ablegen, zu den Gcstalten, die nur dcr geuiale
Blick so zu schen und festzuhalten wciß. Aber die
Totalwirkllng dcs Bildes bcfricdigte mich nicht ganz; es
fehlt ihr die Einheit; der Vortrag ist auffallend nnruhig
und zcrpflückt.

Nächst Feucrbach hat Böcklin mit seinen drei
Bildern die lebhaftestcn Kontroversen hervorgernfen. Zch
kann mich auch in dieser Hinsicht nur auf Seite dcr
Miuorität stellen, welche den Maler trotz seiner „Ver-
irrungen", von denen Jhr Münchener Korrespondent
nns wiedcrholt berichtet hat, nicht zu verdammen wagt,
im Gcgentheil ihm eine größcre Aufmcrtsamkeit zuge-
wendct wisscn möchtc, als sie der gcbilbete Kuustfreund
in der Rcgel dem Ungewöhnlichen zn widmen geneigt
ist. Bctrachten wir Böcklin cinmal als einen Eugländer,
— daß cr einen klcinen Splccn habe, bchaupten seiue
Gegner ja schon lange — und Manches an ihm wird
uns minder exorbitant erscheinen. Scinc überscharfe, an
die Karikatur streifeudc Charakteristik, sein blondcr Gc-
sammtton, das Verscknnähen des Hellpuukcls: Alles das
sind Eigenschafteu, die cr mit den modcrnen cnglischen
Malern thcilt; und ich sehe nicht ein, warum nicht auch
einmal cin Schweizer euglisch cmpfinden soll, wenn so
viele Deulsche französisch fühlen oder holläudisch vver
vcnetianisch. Jedenfalls aber gchört Böcklin nicht zuin
Avnrs Liinu.)-6rix, und das ist in unsrcr Zeit der
„Kunstvercine" iimner schon Etwas. Das amüsanteste
seincr drei Bilder ist dcr „Fischfang." Die bciden
Nieuschen der Urzeit — die Scenc spiclt nämlich offen-
bar auf einem Kreidcfelsen am Meerc l 00,000 Jahre
vor Christi Geburt — denen statt des crstrcbten Ur-
hcchts zu ihrer nicht geringcn Verwundcrung ein „feuchtes
Wcib" in's Nctz gegangcn ist, sind Gcstalten von wahr-
haft Schcffel'schcm Hnmor. Wenn doch ein neucr Shake"
spcare-Naimnnd nnS dicsc Gebilde der modernen Wisseu-
schaft, diese Wescn dcr Kreideformation einmal auf die
Bühne bringen wollte! Sehr in's Burleske und in dcr
Farbe Brutal-Bunte fällt das „Altrömische Fest", wäh-
rcnd der „Fischfang" auch malcrisch viel Feines hat
 
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