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wie in Wircklichkeit, erscheinen, wenn man das Bild auf den plastischen
Eindruck erhebt, so muss das Bild in allen seinen Teilen perspektivisch
richtig gezeichnet sein. Die perspektivisch richtige Zeichnung wird nun
aber bei den alten Meistern nicht bis ins Einzelne hinein konsequent
durchgeführt. Menschliche Figuren werden nicht in perspektivischer Ver-
zerrung wiedergegeben, wie es bei konsequenter Einhaltung der rich-
tigen Perspektive der Fall sein müsste; die Seitenfiguren z. B. sind nicht
dicker gezeichnet als die Mittelfiguren". Dieser Gegengrund soll nun
gleichfalls entkräftet werden. Auch bei plastischer Auffassung eines Bildes
kann der „natürliche" Eindruck nur dann entstehen, wenn die Perspek-
tive nicht im ganzen Bilde streng durchgeführt wird, wenn sich also —
und zum Beweise dieses Satzes wird auch das Experiment herangezogen
-— „die objektiv dargebotenen Grössenverhältnisse den Grössenverhält-
nissen der intendierten Sehgiössen annähern."
In diesen Gedankengang, den objektiv zu referieren ich mich be-
müht habe, will ich an dieser.Stelle als philosophischer im allgemeinen
und psychologischer Laie im besonderen eine Zwischenfrage werfen:
Erst heisst es, dass eine Photographie bei bestimmter Betrachtung plastisch
erfasst werden könnte und jetzt wieder, dass die plastische Erfassung
eines perspektivisch konstruierten Bildes erst dann „tatsächlich gewähr-
leistet" ist, wenn vom Künstler gewisse Kompromisse zur Sehgrösse hin
gemacht wurden. Kann denn Photographie und Bild nicht gleichmässig
behandelt werden? Hierin scheint mir ein Widerspruch zu liegen,
dessen Lösung ich nicht finden kann und so dünkt mir die Zurück-
weisung des letzten Einwurfes Haucks nicht schlagkräftig.
Für unsere kunstgeschichtliche Betrachtung des Problems spielt aber
dieser Einwand keine entscheidende Rolle. Der Hauptabstand zwischen
der kunstgeschichtlichen Fragestellung und der psychologischen des Ver-
fassers scheint mir in dem Satz eingeschlossen zu sein, in dem Jaensch
die Wirkung des plastischen Erfassens erklärt. Ich gebe ihn wörtlich
(p. 160): „Wenn man nun die Photographie — mit oder ohne Verant
— plastisch sieht, so schwindet der Eindruck der Verzeichnung. Sowie
ein ziemlich lebhafter Tiefeneindruck und damit eine mehr oder weniger
weitgehende Illusion der Wirklichkeit auftritt, werden eben bei der Be-
trachtung des Bildes dieselben psychischen Faktoren wirksam, welche
bei der Betrachtung des Originals die Sehgrösse bestimmen". Lassen
wir die Photographie und nehmen wir das Bild: so tritt in irgend einem
Punkt während der Betrachtung für den Beschauer eine Wirklichkeits-
illusion auf, so verändert sich diesem unversehens das ästhetische Sehen
in ein biologisches.
Der Beschauer ist aber eine reflektierende Persönlichkeit, ihn über-
kommt keine mehr oder weniger weitgehende Illusion der Wirklichkeit
(„Gibt's etwa hier ein Weniger oder Mehr?"), sondern er kann sich nur
eine vom Bilde angeregte zusammenstellen, sich dann in sie hineinver-
setzen, wobei ein untrennbares Element dieses Vorstellungskomplexes das
Wissen um ihre Unwirklichkeit ist. Wir wissen, dass es ein Bild, eine
bemalte Leinwand, ein buntes Stück Papier ist. Dieses Wissen um diese
Leinwand, dies Stück Papier, das Wissen um das Material, in dem der
Bildhauer schafft, ist so zwingend, dass es formale Gesetze, die der
1*
wie in Wircklichkeit, erscheinen, wenn man das Bild auf den plastischen
Eindruck erhebt, so muss das Bild in allen seinen Teilen perspektivisch
richtig gezeichnet sein. Die perspektivisch richtige Zeichnung wird nun
aber bei den alten Meistern nicht bis ins Einzelne hinein konsequent
durchgeführt. Menschliche Figuren werden nicht in perspektivischer Ver-
zerrung wiedergegeben, wie es bei konsequenter Einhaltung der rich-
tigen Perspektive der Fall sein müsste; die Seitenfiguren z. B. sind nicht
dicker gezeichnet als die Mittelfiguren". Dieser Gegengrund soll nun
gleichfalls entkräftet werden. Auch bei plastischer Auffassung eines Bildes
kann der „natürliche" Eindruck nur dann entstehen, wenn die Perspek-
tive nicht im ganzen Bilde streng durchgeführt wird, wenn sich also —
und zum Beweise dieses Satzes wird auch das Experiment herangezogen
-— „die objektiv dargebotenen Grössenverhältnisse den Grössenverhält-
nissen der intendierten Sehgiössen annähern."
In diesen Gedankengang, den objektiv zu referieren ich mich be-
müht habe, will ich an dieser.Stelle als philosophischer im allgemeinen
und psychologischer Laie im besonderen eine Zwischenfrage werfen:
Erst heisst es, dass eine Photographie bei bestimmter Betrachtung plastisch
erfasst werden könnte und jetzt wieder, dass die plastische Erfassung
eines perspektivisch konstruierten Bildes erst dann „tatsächlich gewähr-
leistet" ist, wenn vom Künstler gewisse Kompromisse zur Sehgrösse hin
gemacht wurden. Kann denn Photographie und Bild nicht gleichmässig
behandelt werden? Hierin scheint mir ein Widerspruch zu liegen,
dessen Lösung ich nicht finden kann und so dünkt mir die Zurück-
weisung des letzten Einwurfes Haucks nicht schlagkräftig.
Für unsere kunstgeschichtliche Betrachtung des Problems spielt aber
dieser Einwand keine entscheidende Rolle. Der Hauptabstand zwischen
der kunstgeschichtlichen Fragestellung und der psychologischen des Ver-
fassers scheint mir in dem Satz eingeschlossen zu sein, in dem Jaensch
die Wirkung des plastischen Erfassens erklärt. Ich gebe ihn wörtlich
(p. 160): „Wenn man nun die Photographie — mit oder ohne Verant
— plastisch sieht, so schwindet der Eindruck der Verzeichnung. Sowie
ein ziemlich lebhafter Tiefeneindruck und damit eine mehr oder weniger
weitgehende Illusion der Wirklichkeit auftritt, werden eben bei der Be-
trachtung des Bildes dieselben psychischen Faktoren wirksam, welche
bei der Betrachtung des Originals die Sehgrösse bestimmen". Lassen
wir die Photographie und nehmen wir das Bild: so tritt in irgend einem
Punkt während der Betrachtung für den Beschauer eine Wirklichkeits-
illusion auf, so verändert sich diesem unversehens das ästhetische Sehen
in ein biologisches.
Der Beschauer ist aber eine reflektierende Persönlichkeit, ihn über-
kommt keine mehr oder weniger weitgehende Illusion der Wirklichkeit
(„Gibt's etwa hier ein Weniger oder Mehr?"), sondern er kann sich nur
eine vom Bilde angeregte zusammenstellen, sich dann in sie hineinver-
setzen, wobei ein untrennbares Element dieses Vorstellungskomplexes das
Wissen um ihre Unwirklichkeit ist. Wir wissen, dass es ein Bild, eine
bemalte Leinwand, ein buntes Stück Papier ist. Dieses Wissen um diese
Leinwand, dies Stück Papier, das Wissen um das Material, in dem der
Bildhauer schafft, ist so zwingend, dass es formale Gesetze, die der
1*