Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 14.1903

DOI Artikel:
Plehn, Anna L.: Erste internationale Ausstellung für moderne dekorative Kunst in Turin
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4359#0010

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2 ERSTE INTERNATIONALE AUSSTELLUNO FÜR MODERNE DEKORATIVE KUNST IN TURIN

man sie in Bezug auf die Massverhältnisse und die
Häufung der Dekoration übertrieb. Diskrete Farben
steigerte man brutal und brachte sie in vielen Nuancen
rücksichtslos zusammen. Technik und Material er-
fuhren grausame Misshandlung. Es waltete derselbe
Leichtsinn, welchen sich auch bisher die Vorbilder
der alten Stile hatten gefallen lassen müssen, denen
in keinem Lande eine so sinnverdrehende Behandlung
zu teil geworden war, als gerade in Italien.

Wenn es also im ganzen ein klägliches Schauspiel
ist, welches die italienische Abteilung der Ausstellung
im schönen Park Valentino bietet, so finden sich darin
dennoch ganz vereinzelte Spuren von einer verstän-
digeren Einsicht in das, was auch in diesem Lande
wie in allen anderen notwendigerweise der Lauf der
Entwickelung sein muss. Dem eigensinnigen Ge-
schmack für das Überladene, der nirgends in der Welt
so tolle Dinge zu Tage gefördert hat wie in dem
Gebiet, das einst die Kunst von ganz Europa beherrschte,
wagen einige Kunsthandwerker und industrielle Eta-
blissements die Einfachheit als einen Überredungs-
versuch entgegenzusetzen. In erster Linie denke ich
bei dieser Bemerkung an die Möbel der Gesellschaft
»Familia artistica in Mailand, welche an drei wohl-
feilen Wohnzimmereinrichtungen von einfachem, far-
big gebeiztem Holz erste Versuche ganz schmuckloser
rechtwinkliger Tischlerkonstruktionen zeigt. Dem ita-
lienischen Geschmack muss dergleichen recht merk-
würdig erscheinen. Auch die Firma »Beiart« von
Carlo C. Girard in Florenz bewahrt wenigstens eine
verhältnismässige Zurückhaltung in Form und Deko-

KARLSRUHER JUBILÄUM-KUNSTAUSSTELLUNO 1902
SESSEL U. WANDBRUNNEN AUS DEM ARBEITSZIMMER VON ARCHITEKT HERMANN BILLING, KARLSRUHE

könnten. Für sie war diese mit unerhörter Keckheit
angesetzte Konkurrenz mit Gegnern, von deren Über-
legenheit sich im Lande selbst jeder Einsichtige über-
zeugt hielt, vielmehr nur ein Hindernis am wirklichen
Fortschritt, insofern die materiellen Mittel und die
Zeit, welche an die Vorbereitungen für dies aussichts-
lose Unternehmen gewendet wurden, der später einmal
notwendigen wirklichen Reform entgingen. Selbst
die italienischen offiziellen Programme, welche man
in ganz Europa um herschickte, sprachen es mit einer
fast kindlichen Offenheit aus, dass das einheimische
Kunsthandwerk dringend einer Reform bedürfe. Mit
demselben Federzug für einen so nahe bevorstehenden
Termin die Aufstellung von Neuleistungen in modern
künstlerischem Sinn dekretieren, das hiess so viel, als die
Besonnenheit und Geduld von dem Anfang der stilisti-
schen Bestrebung ausdrücklich ausschliessen und nur
die Hast aufrufen, nach Ungewöhnlichem zu haschen.
Dieses fand sich denn auch ein in Gestalt zahlloser
Nachahmungen dessen, was in der letzten Zeit an
Auffallendem bei anderen Nationen zu Tage gekommen
war, nur so, dass es nicht der Geist, sondern die
Äusserlichkeit war, die man auffasste — und vielfach
missverstand. Olbrich, und Majorelle, Horta, Carabin
und Charpentier, alle mussten sie ihre Vorbilder leihen
und diese wurden in der Regel dadurch entstellt, dass
 
Annotationen