DOI article:
Plehn, Anna L.: Erste internationale Ausstellung für moderne dekorative Kunst in Turin
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.4359#0027
ERSTE INTERNATIONALE AUSSTELLUNG FÜR MODERNE DEKORATIVE KUNST IN TURIN 19
AUSSTELLUNO TURIN 1902
MÖBEL VON OTTO FRITZSCHE, HOFMÖBELFABRIK, MÜNCHEN
Boberg von dem Hergebrachten verschieden. Sie
wurden von der Gesellschaft »Freunde der Hand-
arbeit« ausgeführt und sind bereits im vergangenen
Winter in Berlin ausgestellt gewesen. Statt der im
Wandteppich neuerdings fast allein herrschenden
Plakatwirkung des Bildes sind hier gross aufgefasste
Landschaftsstimmungen in voller Naturtreue in der
Wirktechnik wiedergegeben. So zwar, dass ein Motiv
mit vielen durcheinander verzweigten Linienführungen
und sehr lichter Farbenstellung jene Verwischung des
Wirklichkeitsgehaltes hervorbringt, durch welche eine
Naturdarstellung ruhige Flächenwirkung erhält und
"i der Dekoration aufnahmefähig wird. Man denkt
vor diesem Wandschmuck kaum daran, dass er Aus-
schnitten aus verschneitem Walde seine Entstehung
verdankt. Das Auge erkennt nur die verschiedenen
bläulichen und rosigen Nuancen von winterlichen
Abendstunden, sieht mehr das vielfache Gezack krau-
ser Tannen- und kahler Buchenäste als die perspek-
tivisch vertieften Räume, die sie in der Natur von-
einander trennen und indem es so die Naturerschei-
nungen auf die Ebene gebannt findet, bleibt der
Phantasie Spielraum, auszumalen, was das Auge selbst
nicht erkennt. Im direktesten Gegensatz zu diesem
vorurteilslosen Ausnutzen von Wirklichkeitseindrücken
steht die Stickerei, wie sie durch die Anhängerinnen
der Glasgow-Schule gepflegt wird. Das realistische
Ornament, welches der Nadelarbeit so nahe liegt, ja
das Ornament überhaupt tritt in diesen Applikationen
vielfach ganz zurück. Die Formen vereinfachen sich
aufs äusserste und treten dafür in grossem Mass-
stabe auf, um als kräftige Linien und Flecken ihren
Dienst auf die Ferne hin zu thun. Die derbfädigen
Leinengewebe sind auch hier, wie überhaupt in der
modernen Stickerei, fast allein geschätzt. Sie werden
zumeist in der Auflagetechnik dekoriert. Dann sichert
AUSSTELLUNO TURIN 1902
MÖBEL VON OTTO FRITZSCHE, HOFMÖBELFABRIK, MÜNCHEN
Boberg von dem Hergebrachten verschieden. Sie
wurden von der Gesellschaft »Freunde der Hand-
arbeit« ausgeführt und sind bereits im vergangenen
Winter in Berlin ausgestellt gewesen. Statt der im
Wandteppich neuerdings fast allein herrschenden
Plakatwirkung des Bildes sind hier gross aufgefasste
Landschaftsstimmungen in voller Naturtreue in der
Wirktechnik wiedergegeben. So zwar, dass ein Motiv
mit vielen durcheinander verzweigten Linienführungen
und sehr lichter Farbenstellung jene Verwischung des
Wirklichkeitsgehaltes hervorbringt, durch welche eine
Naturdarstellung ruhige Flächenwirkung erhält und
"i der Dekoration aufnahmefähig wird. Man denkt
vor diesem Wandschmuck kaum daran, dass er Aus-
schnitten aus verschneitem Walde seine Entstehung
verdankt. Das Auge erkennt nur die verschiedenen
bläulichen und rosigen Nuancen von winterlichen
Abendstunden, sieht mehr das vielfache Gezack krau-
ser Tannen- und kahler Buchenäste als die perspek-
tivisch vertieften Räume, die sie in der Natur von-
einander trennen und indem es so die Naturerschei-
nungen auf die Ebene gebannt findet, bleibt der
Phantasie Spielraum, auszumalen, was das Auge selbst
nicht erkennt. Im direktesten Gegensatz zu diesem
vorurteilslosen Ausnutzen von Wirklichkeitseindrücken
steht die Stickerei, wie sie durch die Anhängerinnen
der Glasgow-Schule gepflegt wird. Das realistische
Ornament, welches der Nadelarbeit so nahe liegt, ja
das Ornament überhaupt tritt in diesen Applikationen
vielfach ganz zurück. Die Formen vereinfachen sich
aufs äusserste und treten dafür in grossem Mass-
stabe auf, um als kräftige Linien und Flecken ihren
Dienst auf die Ferne hin zu thun. Die derbfädigen
Leinengewebe sind auch hier, wie überhaupt in der
modernen Stickerei, fast allein geschätzt. Sie werden
zumeist in der Auflagetechnik dekoriert. Dann sichert