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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 14.1903

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Scherer, Valentin: Die Ausstellung der neuen Frauentracht im Hohenzollern-Kunstgewerbehaus zu Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.4359#0085

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DIE AUSSTELLUNG DER NEUEN FRAUENTRACHT

77

GESELLSCHAFTSKLEID, ENTWORFEN VON MALER

SCHULTZE-NAUMBURO, AUSGEFÜHRT VON

HERMANN GERSON, BERLIN

den Rock von zwei über die Schultern laufenden
Trägern gehalten sein lässt, die vor der Brust in
spitzem Winkel zusammenlaufen und durch eine
reiche Silberspange am Rock befestigt sind. Stärker
kann der Gedanke des Getragenwerdens nicht aus-
gedrückt werden und dabei dienen die prächtige
Spange, sowie eine Reihe von Bisen im Rock aufs
trefflichste zur Belebung des ganzen Kleides. Die
Bluse selbst aber wächst mit einer geradezu ver-
blüffenden Selbstverständlichkeit aus diesem Rock her-
vor. Eine ähnlich starke Betonung der Träger bringt
Helene Schwarz, die in origineller Weise am Rock
drei Bänder ansetzen lässt, die allmählich über
der Schulter zu einem einzigen sich zusammen-
schliessen. Dass diese Verbindung von Rock und
Bluse auch sehr elegant, fast gewandartig wirken kann,
lehrt ein Kleid von E. Winterwerber, das an der Brust

und am Saum reiche Verzierungen aufweist, die
durch Litzen miteinander in Verbindung stehen.
Ganz unhaltbar dagegen erscheint mir der
umgekehrte Gedanke, die Bluse über den Rock
zu führen, wie es Pautine Winkler versucht.
Die ganze Konstruktion geht verloren und das
plötzliche Aufhören der Bluse wirkt unschön.
Für ebenso verfehlt halte ich den Gedanken
von Mme. de Vroye, den Rock einfach an der
Bluse anzuhaken. Dies unvermittelte Zusammen-
stossen, der gänzliche Mangel an Konstruk-
tionsgefühl erweckt verschiedene Bedenken. Ich
erblicke hierin einen gefährlichen Kompromiss
mit den bisherigen Taillenkleidern, der mir
durch zwei andere Kostüme von gleicher Hand
noch bestätigt wird. Da finden wir reiche, mit
allem modernen Beiwerk überladene Kleider,
die sich von den bisherigen nur durch den
etwas höher geschobenen Gürtel unterscheiden.
Von klarem Konstruktionsgedanken keine Spur!
Fort mit solchen Kompromissen, sie können
unseren Bestrebungen nur schaden! Wo neu
gebaut werden soll, da darf man sich auch
nicht scheuen, Altes einzureissen. Dass auch
Mme. de Vroye Besseres schaffen kann, das zeigt
ihr Hauskleid mit dem miederartigen Überwurf.
Von den Gesellschaftskleidern seien nur die-
jenigen erwähnt, die den neuen Gedanken der
klaren Konstruktion auch hierfür aufnehmen.
Dass Scluiltze-Naiimburg auch darin Vortreff-
liches leistet, bedarf kaum erst der Erwähnung.
In dem vielgefältelten Rock und dem darüber
gezogenen glatten kurzen Mieder spricht sich
ein entzückender Gegensatz von Ruhe und Be-
wegung aus. Als beachtenswert seien noch
erwähnt zwei Versuche, die Trennung von Rock
und Bluse auch für das Gesellschaftskleid zu
verwenden. Bei Minna Lang-Kiirz stört etwas
die Befestigung der Träger über der Schulter
mit unsichtbaren Haften, was E. Friling zu
vermeiden weiss, indem sie die Träger durch
Spangen auf der Schulter schliesst. Sie hat
richtig erkannt, welch grossen dekorativen Wert
die Betonung der Schlussstellen haben kann.
Zum Schlüsse möchte ich noch Schultze- Naum-
burg^ Brautkleid erwähnen, nicht um es zu beschreiben,
denn dadurch fürchte ich, ihm etwas von seinem
Zauber zu nehmen. Aber ich glaube, dass noch
niemals so schön und sinnig ein Gedanke in einem
Kleid verwirklicht wurde. Hier sehen wir am deut*
lichsten, bis zu welch hoher ästhetischen und künst-
lerischen Wirkung die neue Tracht* sich zu steigern
vermag.

Damit hoffe ich die wesentlichsten Punkte, um
die es sich handelt, erwähnt zu haben, wenngleich
noch manches hervorzuheben wäre, so z. B. die Zu-
sammenstellung der Farben bei den einzelnen Ge-
wändern. Doch es würde zu weit führen, des Näheren
hierauf einzugehen, dies scheint mir zudem ein Kapitel
für sich zu sein.

Sicherlich werden viele Besucher den Eindruck
 
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