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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 14.1903

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Über die neuere Richtung in der Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4359#0197

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ÜBER DIE NEUERE RICHTUNG IN DER BAUKUNST

BUCHEINBAND UND BRIEFTASCHE IN LEDERSCHNITT
VON GEORG HULBE, HAMBURG

Ob allerdings die Lösung eine mehr oder weniger
gute ist, hängt davon ab, ob er es verstanden hat
seine Aufgabe erschöpfend zu erfassen und ob er alle
mit Rücksicht auf die Brauchbarkeit und Haltbarkeit
des Werkes zu stellenden Anforderungen mit denjenigen
Ansprüchen zu vereinigen gewusst hat, die das herr-
schende oder sein eigenes aufrichtig und tief em-
pfundenes Schönheitsgefühl erheben. Ein Kunstwerk
bleibt sein Werk aber stets, solange er aus seinem
eigenen Innern, aus seiner eigenen Stimmung heraus
geschaffen und diese Stimmung in verständlicher Weise
zum Ausdruck gebracht hat.

Dabei ist es nicht durchaus nötig, dass der schliess-
lich ausgedrückte künstlerische Gedanke ihm selbst
von vornherein bereits klar bewusst gewesen ist, und
dass ihm das künstlerische Ziel stets in klaren Um-
rissen vorgeschwebt hat. Nötig ist nur, dass er erst
dann befriedigt den Stift beiseite legt, wenn er fühlt,
dass sein Werk der von seinem künstlerischen Gefühl
geforderten Stimmung entspricht. Erst die Stimmung,
jener aus der Seele des Künstlers in sein Werk ge-
legte, belebende Funke, erhebt dasselbe über das Hand-
werksmässige. Der rein künstlerische Teil des Werkes
ist reine Gefühlssache, ebenso wie später der Kunst-
genuss des Beschauers reine Gefühlssache ist. Der
weitergehende Genuss des Kenners, der in der Ver-
folgung der vom Künstler angewendeten Mittel und

der Würdigung der technischen Schwierigkeiten
besteht, ist schon kein Kunstgenuss mehr, son-
dern der aus dem befriedigten Forschertrieb
erwachsende Genuss.

Mit dem Verstände allein lassen sich daher
auch in der Baukunst keine Kunstwerke schaffen.
Dem Verstandesmenschen mag dies zwar klar
bewiesen scheinen, wenn er als Belag für seine
Behauptung, die auf genauester Messung und
Nachbildung, also auf rein verstandesmässiger
Aufnahme der antiken Bauten beruhenden Lei-
stungen der grossen Meister der Renaissance
aufführt. Das, was jene Meister gemessen und
nachgebildet haben, waren aber nur die einzelnen
Bauteile, aus denen die herrlichen antiken Bauten
gebildet waren. Was sie dagegen wieder dar-
aus geschaffen haben, war etwas gänzlich Neues,
Selbständiges, bei dem allerdings die Absicht
dahin ging, durch genaue Nachbildung der Ver-
hältnisse und Einzelheiten der antiken Bauten,
ebenfalls Werke von ähnlicher »göttlicher«
Schönheit zu schaffen. Sprach doch Michel-
angelo es ausdrücklich aus, dass er durch seine
Studien an den antiken Kunstwerken lernen
wolle, das jenen innenwohnende »divino« aus-
zuprägen.

Durch das genaue Studium der Antike ging
den Meistern zugleich ein Teil des antiken
Schönheitsgefühls in Fleisch und Blut über und
was sie schufen, war nur der aus ihrem innersten
Empfinden hervorgegangene Ausdruck ihres
eigenen verfeinerten Schönheitsgefühls, nicht
aber das Ergebnis ihres Scharfsinns und ihrer
Nachahmungskraft.
Es hat allerdings zu allen Zeiten Werke, die haupt-
sächlich auf trockener Verstandesarbeit beruhen, eben-
 
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