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ÜBER DIE NEUERE RICHTUNG IN DER BAUKUNST
KUNSTVEROLASUNQ VON KARL ENOELBRECHT,
HAMBURG
Bei der Flächenbehandlung fällt der nachgeahmten
Bewegung die Hauptaufgabe zu. Sind die einzelnen
geschmückten Bauteile einer Schauseite klar auf grossen
ruhigen Flächen vertreilt, wie es der ruhigen Bewegung
entspricht, so ist die Wirkung der einzelnen Schmuck-
teile naturgemäss eine weit stärkere, und das Ganze
macht einen vornehmeren, ruhigeren Eindruck, als wenn
sie dicht nebeneinander gehäuft sind. Stehen ver-
schiedene Schmuckteile, ohne sich zu einem Gesamt-
muster zusammenzuordnen, einander so nahe, dass
sie sich in ihrer Wirkung gegenseitig beeinträchtigen,
so ist der Eindruck ein überladener, unbefriedigender.
Wechseln dagegen stark ungleiche Glieder regel-
mässig miteinander ab, so wird der Eindruck ein
lebhafter, ähnlich wie derjenige einer Bewegung, bei
der das Auge einem um so grösseren Wege folgen
muss, je stärker die Bewegung ist. Fehlt die Regel-
mässigkeit in der Wiederholung, so ist der Eindruck
ein störend unruhiger.
Bei der freien malerischen Behandlung der Bau-
gruppen und der Flächen, die von der Achsenteilung
beziehungsweise Symmetrie mehr oder weniger ab-
sieht, sind es wieder die Ähnlichkeiten, die in den
Formen der einzelnen Bauteile stecken, die in ihrer
Zusammenstellung und Gesamtwirkung die Stimmung
bedingen; doch muss eine solche freie Anordnung
auf die ruhigen, feierlichen Wirkungen verzichten,
während sie für die Erzielung fröhlicher, behaglicher
oder auch festlicher Stimmungen gut geeignet ist.
Diese Vergleiche und Ähnlichkeiten, von denen
wir hier einige Beispiele angeführt haben, kommen
nur ganz ausnahmsweise beim Entwerfen und wohl
niemals beim Betrachten eines Bauwerkes zum Be-
wusstsein; sie bleiben vielmehr an der Schwelle des
Bewusstseins stehen, wo wir nur fühlen und die Be-
griffe erst ahnen, die wir später durch längere Ver-
standesarbeit klarstellen könnten. Aber gerade in
dieser Unbestimmtheit des künstlerischen Empfindens
liegt ein ganz besonderer Reiz, geradeso wie diejenige
Musik, die den Gefühlsregungen die Auswahl der ihr
am meisten zusagenden Ähnlichkeiten überlässt, viel
tiefer wirkt, als die sogenannte Programmmusik, die
uns in einem bestimmten, nicht zu verfehlenden Geleise
durch den Wundergarten der Töne führt. Es ist im
Grunde derselbe Reiz, den wir beim Betrachten einer
Ruine oder einer noch unvollendeten Skizze empfinden,
wo es unserer Einbildungskraft überlassen bleibt, das
Fehlende, wie es uns zusagt, zu ergänzen. Wo wir
in der Architektur eine absichtliche, nicht misszuver-
stehende Nachahmung eines Eindrucks, zum Beispiel
des menschlichen Angesichtes, finden, wie bei einzelnen
Meistern des 17. Jahrhunderts, die in ihren Festungs-
bauten durch die Verteilung der Schiessscharten als
Augen und der Thore als Rachen scheussliche Fratzen
nachahmten, da wirkt das Bauwerk nüchtern und lässt
uns kalt.
Die Andeutung der Ähnlichkeit wirkt bei guten
Bauten in ähnlichem Sinne, wie etwa in den Land-
schaften von Salvator Rosa die versteckte Ähnlichkeit
der Felsenklippen mit schaurigen Riesenhäuptern wirkt.
Jene Gemälde machen zunächst lediglich den tiefen Ein-
druck einer wilden, leidenschaftlichen Naturscene. Erst
wenn wir die Einzelheiten zergliedern, finden wir diese
zur Verstärkung der Wirkung benutzte Ähnlichkeit. Bei
KARL ENOELBREHT, HAMBURG, VORSETZER
IN OPALESCENTGLAS, MOTIV: WEISSE ASTERN
ÜBER DIE NEUERE RICHTUNG IN DER BAUKUNST
KUNSTVEROLASUNQ VON KARL ENOELBRECHT,
HAMBURG
Bei der Flächenbehandlung fällt der nachgeahmten
Bewegung die Hauptaufgabe zu. Sind die einzelnen
geschmückten Bauteile einer Schauseite klar auf grossen
ruhigen Flächen vertreilt, wie es der ruhigen Bewegung
entspricht, so ist die Wirkung der einzelnen Schmuck-
teile naturgemäss eine weit stärkere, und das Ganze
macht einen vornehmeren, ruhigeren Eindruck, als wenn
sie dicht nebeneinander gehäuft sind. Stehen ver-
schiedene Schmuckteile, ohne sich zu einem Gesamt-
muster zusammenzuordnen, einander so nahe, dass
sie sich in ihrer Wirkung gegenseitig beeinträchtigen,
so ist der Eindruck ein überladener, unbefriedigender.
Wechseln dagegen stark ungleiche Glieder regel-
mässig miteinander ab, so wird der Eindruck ein
lebhafter, ähnlich wie derjenige einer Bewegung, bei
der das Auge einem um so grösseren Wege folgen
muss, je stärker die Bewegung ist. Fehlt die Regel-
mässigkeit in der Wiederholung, so ist der Eindruck
ein störend unruhiger.
Bei der freien malerischen Behandlung der Bau-
gruppen und der Flächen, die von der Achsenteilung
beziehungsweise Symmetrie mehr oder weniger ab-
sieht, sind es wieder die Ähnlichkeiten, die in den
Formen der einzelnen Bauteile stecken, die in ihrer
Zusammenstellung und Gesamtwirkung die Stimmung
bedingen; doch muss eine solche freie Anordnung
auf die ruhigen, feierlichen Wirkungen verzichten,
während sie für die Erzielung fröhlicher, behaglicher
oder auch festlicher Stimmungen gut geeignet ist.
Diese Vergleiche und Ähnlichkeiten, von denen
wir hier einige Beispiele angeführt haben, kommen
nur ganz ausnahmsweise beim Entwerfen und wohl
niemals beim Betrachten eines Bauwerkes zum Be-
wusstsein; sie bleiben vielmehr an der Schwelle des
Bewusstseins stehen, wo wir nur fühlen und die Be-
griffe erst ahnen, die wir später durch längere Ver-
standesarbeit klarstellen könnten. Aber gerade in
dieser Unbestimmtheit des künstlerischen Empfindens
liegt ein ganz besonderer Reiz, geradeso wie diejenige
Musik, die den Gefühlsregungen die Auswahl der ihr
am meisten zusagenden Ähnlichkeiten überlässt, viel
tiefer wirkt, als die sogenannte Programmmusik, die
uns in einem bestimmten, nicht zu verfehlenden Geleise
durch den Wundergarten der Töne führt. Es ist im
Grunde derselbe Reiz, den wir beim Betrachten einer
Ruine oder einer noch unvollendeten Skizze empfinden,
wo es unserer Einbildungskraft überlassen bleibt, das
Fehlende, wie es uns zusagt, zu ergänzen. Wo wir
in der Architektur eine absichtliche, nicht misszuver-
stehende Nachahmung eines Eindrucks, zum Beispiel
des menschlichen Angesichtes, finden, wie bei einzelnen
Meistern des 17. Jahrhunderts, die in ihren Festungs-
bauten durch die Verteilung der Schiessscharten als
Augen und der Thore als Rachen scheussliche Fratzen
nachahmten, da wirkt das Bauwerk nüchtern und lässt
uns kalt.
Die Andeutung der Ähnlichkeit wirkt bei guten
Bauten in ähnlichem Sinne, wie etwa in den Land-
schaften von Salvator Rosa die versteckte Ähnlichkeit
der Felsenklippen mit schaurigen Riesenhäuptern wirkt.
Jene Gemälde machen zunächst lediglich den tiefen Ein-
druck einer wilden, leidenschaftlichen Naturscene. Erst
wenn wir die Einzelheiten zergliedern, finden wir diese
zur Verstärkung der Wirkung benutzte Ähnlichkeit. Bei
KARL ENOELBREHT, HAMBURG, VORSETZER
IN OPALESCENTGLAS, MOTIV: WEISSE ASTERN