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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 14.1903

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Über die neuere Richtung in der Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4359#0206

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ÜBER DIE NEUERE RICHTUNG IN DER BAUKUNST

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KUNSTVEROLASUNO VON KARL ENQELBRECHT,
HAMBURG

Salvator Rosa war das Mittel wahrscheinlich ein be-
absichtigtes, dem Architekten liegen jedoch solche
absichtliche Ähnlichkeiten ziemlich fern, sie sind ihm
aber so in Fleisch und Blut übergegangen, dass er
sie ebensowenig suchen oder erforschen wird, wie
der Dichter der anatomischen Seite des Denkvorganges
nachforschen wird. Wollte gar ein Baumeister ge-
flissentlich einen bestimmten Gesichtsausdruck oder
eine bestimmte Haltung durch deutliche Nachahmung
der Form zur Darstellung bringen, so würden in den
meisten Fällen notwendig Karikaturen und Spott-
geburten das Ergebnis sein. Es darf sich immer nur
um unbestimmte Andeutungen handeln.

Bei der Ausgestaltung von Innenräumen wird
ohnehin die Ähnlichkeit sich nur auf die Einzelformen
erstrecken können. Wenn auch der Gesamteindruck
der säulengetragenen Gewölbe und der Kuppeln zu-
weilen an die majestätische Ruhe der Wälder oder
an den sternenbesäten Himmel erinnern kann, so
lassen sich doch im allgemeinen durch die Innen-
räume nicht solche eindringliche Stimmungen erreichen,
wie durch die Aussenarchitektur, zumal bei freistehen-
den Bauten die natürliche oder umgestaltete Umgebung
die Wirkung ungemein verstärken kann. Dagegen
lassen sich durch die Linienführung bei der Flächen-
behandlung und in dem Wechsel der etwaigen Achsen-
bilder und Gliederungen, sowie ganz besonders durch
die Farbenwirkung und die innigere Mitwirkung der
übrigen darstellenden Künste wieder ganz anders ge-
artete grosse Stimmungen erzeugen, die durch die
Aussenarchitektur nicht zu erreichen sind.

Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die

Stimmung hat für die Innenräume mehr noch als für
das Äussere die Farbe. Wie der düstere Himmel
und das tief überschattete Auge etwas Drohendes,
Ernstes haben, so wird auch der Eindruck des Ernstes
oder der gedrückten Stimmung durch eine düstere
Färbung und tiefe, grosse Schatten verstärkt. Lebhafte
wechselnde Farben hingegen und lichte Flächen machen
den Eindruck zu einem heiteren, fröhlichen. Ja, schon
die einzelnen Farbentöne haben einen unzweifelhaften
Einfluss auf die Stimmung, der um so deutlicher
wird, je empfindsamer der Beschauer ist, und der
um so leichter in das Weichliche, Krankhafte entartet,
je unselbständiger der Architekt ist. —

Eine ganz andere Art von Stimmung erzeugt in
gewissem Sinne der eigentliche geschichtliche Stil
selbst. Schon die angewendete Stilart allein lässt uns
wegen ihrer bei bestimmten Gebäudearten gewohnt
gewordenen Anwendung gleich den bestimmten Zweck
und die Gattung der betreffenden Bauten vermuten.
So sind wir gewohnt, mit den frühmittelalterlichen
Stilarten den Begriff des Altehrwürdigen, Urwüchsigen
oder auch klösterlich Abgeschlossenen zu verbinden,
während die gotischen Stilarten bald etwas an-
dächtig Frommes, bald trotzig Feudales, bald glän-
zend Altertümliches an sich haben. Antike Formen
pflegen wir wohl bei klassischen Zwecken gewid-
meten Gebäuden vorauszusetzen, während die Re-
naissanceformen mehr den Gedanken erwecken, dass
der Bauherr als Kunstfreund und vornehmer Mann
gelten will. Der Rokokostil pflegt als der Ausdruck
des heiteren Lebensgenusses zu gelten und in der
deutschen Renaissance sind wir gewohnt, die Ver-

KARL ENQELBRECHT, HAMBURG, VORSETZER
IN OPALESCENTGLAS, MOTIV: MOHNBLUMEN

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