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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

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Osborn, Max: Der deutsche Kunstgewerbe-Krieg
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https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0197

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DER DEUTSCHE KUNSTGEWERBE-KRIEG

Von Dr. Max Osborn.

VIER Jahre nachdem in der freien Kunst die lange
schon schleichende Krisis zum offenen Bürger-
kriege und zur reinlichen Scheidung der Parteien
geführt, hat sich nun im Kunsthandwerk die gleiche
Entwicklung vollzogen: der »Fall Muthesius« hat
den aufgespeicherten Zündstoff zur Explosion ge-
bracht. Genau wie dort war es hier die reaktionäre
Fraktion, die eine Entscheidung herbeizwang. Die Pro-
vokationen der Genossenschaftler haben vor fünfzehn
Jahren in München, haben im Laufe des vergangenen
Dezenniums in Wien und Berlin die Sezessionen ins
Leben gerufen, haben bei den Vorbereitungen zur
Weltausstellung von St. Louis den Zusammenschluß
der oppositionellen Gruppen im »Deutschen Künstler-
bund« veranlaßt. Nun ist auf den Weimarer Kunst-
tag vom November 1903 der Düsseldorfer Kunst-
gewerbetag vom 14. Juni 1907 gefolgt — zwei Daten
von historischem Belang —, und wieder war es ein
fehlgeschlagener Angriff gegen das Neue, Jugendliche,
Zukunftskräftige, der den Stein ins Rollen brachte. Nur
daß an Stelle der »Allgemeinen Kunstgenossenschaft«
nun der »Fachverband für die wirtschaftlichen Interessen
des Kunstgewerbes« trat. Es lohnt, den geschichtlichen
Verlauf der Ereignisse noch einmal im Zusammen-
hang festzuhalten.

Der Geburtstag der Feindseligkeiten war der28. März
dieses Jahres. An diesem Tage ward der »große
Schlag« gegen den Geheimen Regierungsrat Dr. ing.
Hermann Muthesius geführt, gegen einen der ver-
dientesten Männer unserer staatlichen Kunstverwaltung,
dessen segensreiches Wirken die lebhafte Zustimmung
aller einsichtigen deutschen Kunstfreunde genießt.

Es ist in Fachkreisen allgemein bekannt, daß
Muthesius, der als Gewerberat dem preußischen Han-
delsministerium zugeteilt ist, oder genauer: dem Landes-
gewerbeamt (dem die Gewerbeschulen und, seltsamer-
weise, auch die Kunstgewerbeschulen, mit Ausnahme
der Berliner, unterstehen) seit geraumer Zeit als Beamter
wie als Kunstgelehrter, in seiner Verwaltungstätigkeit wie
durch schriftstellerische Veröffentlichungen und Vorträge
für die Zustände im deutschen Kunstgewerbe Außer-
ordentliches geleistet hat. Muthesius hat für die drin-
gend notwendige Umgestaltung des Unterrichts an jenen
Schulen wie für die Aufklärung des Publikums sehr
viel Gutes getan. Er gehört zu denen, die bei uns in
der ruhigsten, besonnensten Weise für die gesunden
Prinzipien des neuen, wenn man will: des »modernen«
Geschmackes eingetreten sind, die als überzeugte
Apostel des Guten und Tüchtigen, das in den kunst-
handwerklichen Reformen der Gegenwart steckt, ohne

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jeden Übereifer oder Snobismus, in Deutschland die
Lehren gepredigt haben, durch welche vor allem die
englische Architektur und Innenkunst seit einem halben
Jahrhundert auf den ersten Platz eingerückt sind.
Mehrere Jahre war er der deutschen Botschaft in
London attachiert, und er hat die Zeit benutzt, um
die englischen Verhältnisse von Grund aus kennen zu
lernen, er hat die Resultate dieser Forschungen dann
in mehreren Schriften niedergelegt, die überall als
Quellenwerke ersten Ranges angesehen werden —
aber er hat, als er das Studium der englischen Muster
und Vorbilder für uns empfahl, wie es selbstverständ-
lich ist, niemals sklavischer Nachahmung das Wort
geredet, sondern uns auf die ungeheure Wichtigkeit
der Anregungen hingewiesen, die wir der britischen
Lebenskultur entnehmen können. Daraus wollte ihm
nun der Vorstand des »FachVerbandes« — nicht die
Gesamtheit der Mitglieder, die von dem Plänchen
zunächst gar nichts erfuhren — einen Strick drehen.
Und sie versuchten das, indem sie, nicht ohne
Raffinement, nach altem gutem Rezept ihrer reaktio-
nären Kunstgesinnung ein »nationales« Mäntelchen
umhängten. Es war interessant, daß gerade während
der Streitigkeiten in München Gabriel Seidl beim
Empfang der englischen Journalisten in einer Rede
im Künstlerhause betonte, daß die Münchener Archi-
tekten »die englische Baukunst hoch verehrten und
das englische Haus als vorbildlich ansähen« — keine
Gelegenheitsphrase, sondern ein ehrliches Bekenntnis,
das nicht nur auf München, sondern auf ganz Deutsch-
land zutrifft. Aber die Berliner Herren vom »Fach-
verband« suchten den Eindruck zu erwecken, als
handle es sich hier bei Muthesius um eine ganz be-
sonders »unnationale« Haltung; denn sie brauchten
dies Mittelchen, um den Verhaßten beim preußischen
Handelsminister und bei den Ältesten der Kaufmann-
schaft von Berlin anzuschwärzen. An den Minister
richteten sie eine Eingabe mit dem dreisten »Ersuchen«:
»der Tätigkeit des Herrn Geheimrat Dr. Muthesius
Einhalt zu gebieten«; an die Altesten wandten sie sich,
um Muthesius aus seiner Stellung als Dozent für das
Kunstgewerbe an der Berliner Handelshochschule zu
verdrängen.

Den Anlaß zu ihrem Vorgehen bildete die An-
trittsvorlesung Muthesius' eben an der Handelshoch-
schule, aus dem Herbst 1906, die er inzwischen auch, im
Februarheft der »Dekorativen Kunst«, durch den Druck
veröffentlicht hatte, und in der er über unsere ein-
heimischen Verhältnisse nicht anders sprach, als heute
alle ehrlichen Freunde der deutschen Kunst darüber

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