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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

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Graul, Richard: Neue Organisationen: zur Förderung von Kunst und Gewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.4882#0050

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42

NEUE ORGANISATIONEN

Die erste Organisation einer idealen Interessen-
gemeinschaft ist in Dresden gegründet worden. Die
»Sächsische Landesstelle für Kunstgewerbe« sucht aus
allen Kreisen diejenigen Elemente zusammenzuführen,
die geeignet erscheinen, im Sinne des künstlerischen
und wirtschaftlichen Fortschritts zu wirken. Bisher
sind eine Anzahl Vertrauensmänner gewählt worden,
und in vorbereitenden Sitzungen wird ein Arbeits-
programm ausgearbeitet.

Bald darauf, beschleunigt durch die vom Berliner
»Fachverband« angezettelte Muthesiushetze, regten
sich auch außerhalb Dresdens die Geister, und so
konnte bereits am 5. Oktober 1907 in München der
»Deutsche Werkbund« gegründet werden, ein Bund
zu Trutz und Schutz der Kunst, als einer Führerin im
nationalen Leben.;

Zu dieser Münchener Gründungssitzung waren
etwa hundert von nahezu dreihundert Männern, die
eingeladen worden waren, erschienen. Geleitet wurde
die Sitzung von Prof. Scharvogel aus Darmstadt. Die
Programmrede hielt Prof. Fritz Schumacher aus Dresden.

Mir vollem Recht wies Schumacher darauf hin, daß
ein Werkbund, wie ihn unsere Zeit verlangt, nur auf
dem Boden freimütigen gegenseitigen Einvernehmens
möglich sei, und daß es für das Gelingen des Unter-
nehmens von guter Vorbedeutung sei, daß der An-
stoß dazu aus den Kreisen der Ausführenden hervor-
gegangen sei. Was aber den Bund fester zusammen-
halten werde als materielle Vorteile, sei das Bewußt-
sein, daß in dem Zusammenarbeiten allmählich das
Ziel einer harmonischen Entwickelung unserer Volks-
kräfte erreicht werden könne.

Schumacher schloß mit den Worten:

»Wenn sich Kunst mit der Arbeit eines Volkes
enger verschwistert, so sind die Folgen nicht nur
ästhetischer Natur. Nicht etwa nur für den fein-
fühligen Menschen, den äußere Disharmonien schmer-
zen, wird gearbeitet, nein, die Wirkung geht weit
über den Kreis der Genießenden hinaus. Sie erstreckt
sich zunächst vor allem auf den Kreis der Schaffen-
den, auf den Arbeitenden selber, der das Werk hervor-
bringt. Spielt in sein Tun wieder der Lebenshauch
der Kunst herein, so steigert sich seine Leistungs-
kraft. Jeder, der als Erfinder mit Arbeitenden zu
tun gehabt hat, wird diese Beobachtung als einen der
schönsten Eindrücke seines Berufes kennen gelernt
haben. Die Freude an der Arbeit müssen wir wieder
gewinnen, das ist gleichbedeutend mit einer Steigerung
der Qualität. Und so ist Kunst nicht nur eine ästhe-
tische Kraft, sondern zugleich eine sittliche und end-
lich in letzter Linie auch eine wirtschaftliche.

Es ist Zeit, daß Deutschland das begreifen lernt,
daß es den Künstler nicht mehr betrachtet als einen
Gesellen, der mehr oder minder harmlos seiner Lieb-
haberei nachgeht, sondern daß es in ihm eine der
wichtigsten Kräfte sieht, um durch Veredelung der
Arbeit das ganze innere Leben des Landes zu ver-
edeln und dieses Land dadurch nach außen hin im
Wettbewerb der Völker sieghaft zu machen. Denn
nur die Werke geben im Wettbewerb der Völker den

Ausschlag, die man nicht nachahmen kann, die Qua-
litätswerke einer harmonischen Kultur.«

In diesen Worten Fritz Schumachers waren die
leitenden Gesichtspunkte für die Debatte und für die
Aufstellung des Arbeitsprogramms gegeben. Vor
allem aber war dadurch die Diskussion auf eine be-
merkenswerte Höhe gestellt, von der aus die Wirkung
des neuen Bundes eine allgemein reformatorische Be-
deutung für unser ganzes Kulturleben erhält.

Förderung aller auf die Veredelung der Arbeit
gerichteten Bestrebungen, Hebung des Verständnisses
für Gediegenheit der Arbeit, Bekämpfung gewerblicher
Unkultur — wie immer der Zweck des Werkbundes
genannt werden möge, er will im letzten Grunde eine
sittliche Aufgabe lösen. Seine praktischen Ziele: die
Organisation der Arbeit, die Stellungnahme zum
Staate in allen künstlerischen und gewerblichen Fragen;
die Einwirkung auf den Handel, auf das Submissions-
wesen der Behörden und auf das Sachverständigen-
wesen, alle diese an sich so reformbedürftigen Dinge
treten zurück hinter der Notwendigkeit, eine weit-
sichtige Kunstpolitik zu treiben und Einfluß zu ge-
winnen auf die Erziehung des gewerblichen Nach-
wuchses, auf unsere Jugenderziehung überhaupt. Ohne
Zweifel liegt hier eine Hauptaufgabe, denn wir
spüren längst die Mängel und sehen die Schäden
einer veralteten Erziehung.

Diese wichtigste Aufgabe ist von niemand schärfer
ins Auge gefaßt worden als von dem Münchener
Stadtschulrat Dr. Kerschensteiner. Energisch verfolgt
er seit einem Jahrzehnt sein Erziehungswerk. Einige
Sätze aus seiner Rede entnehmen wir dem Protokoll
der Sitzung vom 6. November. Kerschensteiner
knüpfte an eine Bemerkung Prof. Theodor Fischers
aus Stuttgart an, der das bisherige Ergebnis unserer
technischen und künstlerischen Volkserziehung für be-
trübend gering hielt, und wies darauf hin, daß der
Fehler für diesen Mißerfolg an dem überkommenen
System des Unterrichts liegt.

»Was das eiserne Gerüst der Überlieferung trägt,
das trägt ein schweres Trägheitsmoment in sich. Dieses
falsche System liegt darin, daß wir alle Erziehung in
Deutschland, die wissenschaftliche, technische und
künstlerische, zu organisieren versucht haben, losgetrennt
von der Arbeit!«

Als Leiter des städtischen Schulwesens in München
hat nun Kerschensteiner versucht, gerade »die Er-
ziehung zur Arbeitsfreudigkeit« an Lehrlingen vom
14. bis 18. Lebensjahre zu erproben. »Ich habe mit
sämtlichen Fortbildungsschulen sechzig Werkstätten
verknüpft, habe das Zeichnen dabei so gut wie
möglich ganz hinausgeworfen. Die Lehrlinge sollten
an der Arbeit selbst lernen. Ich wollte den Tausenden
von Lehrlingen, denen es sonst unmöglich ist,
voranzukommen, weil sie durch die sozialen Ver-
hältnisse, durch den großen Tiefstand der Meister-
schaft gehindert werden, Gelegenheit geben, unter
tüchtigen Gesellen und Meistern, wenigstens drei
bis vier Stunden in der Woche zu sehen, was solide
Arbeit ist, sie zu lieben und, soweit es in ihrer
Fähigkeit und persönlichen Tüchtigkeit liegt, an dieser
 
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