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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

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Matz, Louise; Kofahl, Otto: Werkstätte für künstlerische Frauenarbeit: Schülerinnenausbildung zu Kunstgewerblerinnen, Musterzeichnerinnen und Kunsttapisseristinnen
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.4882#0083

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WERKSTÄTTE FÜR KÜNSTLERISCHE FRAUENARBEIT

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alte oder moderne konventionelle Ornamente, bleiben
meistens den Gegenständen äußerlich aufgelegt und rühren
nicht an den tieferen Sinn der Zierform: die Gestalt oder
Funktion einer Sache lebendiger fühlbar zu machen.

Das deutsche Volk schickt sich jetzt an, es auch mit
seinen ästhetischen Kulturaufgaben ernst zu nehmen. Da
ist es nicht gleichgültig, ob in Hunderltausenden von
Familien mit Fleiß, Geschick und Liebe die Töchter für
den Ungeschmack arbeiten. — Irrig ist es aber, über diesen
weiblichen Kunsttrieb zu spotten, oder darin nur einen
Zeitvertreib im Müßiggang zu erblicken. Hier liegt doch
Tieferes zugrunde.

Eine Ölstudie des russischen Malers und Polarreisen-
den- Borissoff zeigte mir einmal eine Samojedenfrau, ge-
kauert unter einem umgelegten Boot, das dürftigen Schutz
vor Schnee und eisigem Wind gewährt. Ringsum die
Tundra, vereiste Moorfelder. Und diese Frau stickte etwas
aus rotem Tuch und Renntierfellen. In all der grauen

Öde und vernichtenden Kälte empfand man diese rote
Stickerei wirklich als eine lebendige Erquickung. — Wie
stark muß der Kunsttrieb aus der Menschenbrust quillen,
daß er unter solchen Verhältnissen noch unvernichtet
weiterwirkt! Die Bedeutung der Kunst für das Menschen-
leben erfüllte mich vor diesem primitiven Beispiel mit
Ehrfurcht. — Aber, um noch eine andere Betrachtung
hieran zu knüpfen, — es ist dem Kundigen wahrscheinlich,
daß die Leistung, welche jenes hüttenlose Samojedenweib
in der lichterloschenen Polarkälte zustande bringt, tiefer
im echten Kunstempfinden wurzelt, als die nichtssagenden
oder falschschwätzenden Zierformen von Frauenarbeiten
unserer Durchschnittskultur. — Also gilt es nicht auszu-
rotten, sondern zu bessern. — Ein Volk, das wie das
deutsche mit gestaltender Phantasie begabt ist, und dessen
Lebensfreudigkeit auch mit den Gegenständen seines Haus-
rats in ein Gefühlsverhältnis treten will, muß eben auch
auf dem Gebiet der weiblichen, schmückenden Tätigkeit

Teile eines Speiseservices (obere Reihe), Salatschüsseln (untere Reihe). Tonwaren nach Entwürfen von Frau Louise Matz, Lübeck

Wandteller aus Messing, Schülerinnenarbeit aus der Lübecker

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Frauenwerkstätte, hergestellt von Schlossermeister C. Schmidt in Lübeck Filigranschmuck hergestellt nach Entwurf von Frau Louise Matz, Lübeck

von Goldschmied Arthur Berger in Stuttgart
 
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