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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

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Pabst, Arthur: Technische Arbeit als Erziehungsmittel
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Pollak, Friedrich: Verborgene Kunstschätze in Tirol
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https://doi.org/10.11588/diglit.4882#0098

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VERBORGENE KUNSTSCHÄTZE IN TIROL

sammenhange mit einem Grundzuge der amerikanischen
Volksanschauung, die am Menschen vor allem die
Arbeitsfreudigkeit und die Willenskraft schätzt1).

In dem geistvollen Buche: »Die Technik als Kultur-
macht in sozialer und in geistiger Beziehung« (eine
Studie von Ulrich Wendt, Berlin 1906) wird der
geschichtliche Nachweis geliefert, daß die langsame,
arbeitsvolle Entwickelung an der Hand der Technik
den Menschen allmählich zur heutigen Kulturhöhe
erzogen hat. »Man kann getrost und gern sagen,
daß für die Entwickelung der gesamten Kultur, der
materiellen wie der geistigen, die Arbeit des Hand-
werkers und Fabrikarbeiters zum mindesten ebenso
notwendig, ebenso wertvoll, ebenso produktiv und
also auch ebenso edel ist, wie die Arbeit des Gelehrten,
der hinter seinen Büchern sitzt. Sogar an der Ent-
wickelung des Geistes hat der Gelehrte vielleicht kaum
ein größeres Verdienst. Der Handwerker liefert die

1) Vergl. A. Pabst, Beobachtungen über den praktisch-
technischen Unterricht in amerikanischen Schulen und auf
der Unterrichtsausstellung in ,St. Louis. Leipzig, Franken-
stein & Wagner, 1907. — A. Pabst, Die Knabenhandarbeit
in der heutigen Erziehung. Leipzig, B. Q. Teubner, 1907.

Anschauung, der Gelehrte die Begriffe. Der scheinbar
große Unterschied zwischen beider Tätigkeit liegt nur
darin, daß der Gelehrte als einzelner die Abstraktionen
zieht, zu welcher die Masse der Handarbeiter die
Anschauungen gegeben hat. Daher scheint die Arbeit
des Gelehrten aristokratischer zu sein.«

Auch unsere größte nationale Dichtung klingt aus
in einer Verherrlichung der technischen Arbeit. Goethe
läßt seinen Faust am Ende seines Lebens Befriedigung
finden in schaffender Arbeit, die er zum Wohle der
Menschheit unternimmt. Faust dämmt das Meer
zurück und gewinnt ihm neues Land ab, auf dem
Menschen wohnen und die Freuden des Lebens ge-
nießen sollen.

Und das letzte Werk eines großen Künstlers der
Gegenwart, Konstantin Meuniers, ist ebenfalls dem
Triumphe der Arbeit gewidmet. Das »Denkmal der
Arbeit« soll der Menschheit von dem verkünden,
was er ihr als ein Evangelium mitteilen wollte:
»seinen Glauben an einen ewigen Fortschritt der
Menschheit durch die Arbeit«.

Möchten wir bei der Erziehung dieses Glaubens
immer eingedenk bleiben!

VERBORGENE KUNSTSCHÄTZE IN TIROL

GEHT man von Sand im Tauferertal eine Stunde
nach Luttach, von da links den Kalvarienberg
hinan, so kommt man nach abermalig ein-
stündigem Steigen nach dem Flecken Weißenbach.
Dieses unscheinbare Dörfchen besitzt einen großen
Schnitzaltar, den die Lokaltradition keinem Geringeren
als Meister Michael Pacher von Bruneck, dem Schöpfer
des wundervollen St. Wolfganger Altarschreines zu-
schreibt, mit dem unser Werk allerdings nicht all-
zuviel zu tun hat. Der Altar (Abb. 2) besteht aus
vier Stockwerken. Im Unterbau befindet sich in der
Mitte die Anbetung des Kindes mit Joseph, Maria
und vier Engeln, rechts ein leidenschaftlich bewegter
und höchst realistischer Kindermord zu Bethlehem,
links eine Anbetung der hl. drei Könige. Die beiden
Seitenflügel sind bemalt — rechts die hl. Barbara, links
die hl. Anna. Im zweiten Stockwerke ist links die
hl. Katharina, rechts die hl. Maria gemalt, während
sich in der Mitte unter einem später zugefügten
Baldachin ein ganz kleines, schon ziemlich barockes
Kruzifix befindet. Die Hauptarbeit des Ganzen ist
das dritte Stockwerk. Die Figuren hier sind fast 1 m
hoch, voll Weihe und beseelenden Lebens und ge-
hören sicher zu dem Schönsten, was in dieser Art
existiert. In der Mitte stehen unter einem Kreuz-
gewölbe die hl. Andreas, Jacobus und Georgius,
hinter ihnen vier kleine Engelsköpfe. Im rechten Seiten-
flügel steht der hl. Hyppolitus (nicht Sebastian) mit
der Armbrust, links der hl. Hermenegild mit dem
gezückten Schwerte. Beide sind goldgelockt, breit-
spurig, bartlos, mit goldenem Reif im Haar. Rechts

ist hinten gemalt der hl. Florian, links der hl.
Christophorus. Während der Florian stilistisch in die
Familie Hans Baidung Griens gehört, ist der
Christophorus sowie ein kleines Fresko an der Rück-
seite des Altars, ein von zwei Engeln gehaltenes Schweiß-
tuch der Veronika, sicher italienisch, deutlich sogar
mantegnesk beeinflußt. Zumal die beiden Engel
sprechen dafür. Die Landschaft im Christophorus ist
auch italienisch. Im Oberbau endlich, unter einem
undurchdringbaren Gewirr geschnitzten Geästes ein
sehr wohl gebildeter, gar nicht naturalistischer, eher
weichlicher Christus am Kreuz, rechts Maria, links
Johannes. Datiert ist das Werk 1516, restauriert, resp.
verschmiert, 1884. Das Datum, wenn auch bei der
Restaurierung erneuert, ist sicher echt, schließt daher
Pachers Urheberschaft völlig aus. Damals wurde das
im Besitz der Kirche befindliche Triptychon in das
allerunterste Stockwerk eingelassen. Dieses allein, es
hat natürlich mit dem Ganzen nichts zu tun, wurde
1856 von G. Tinkhauser dem Pacher zugeschrieben,
dessen stilistisches Gepräge es auch trägt, wenn auch
die Kostüme auf eine spätere Entstehungszeit hin-
weisen. Es erinnert stark an die bekannten Altäre in
den Franziskanerkirchen zu Bozen und Brixen, sowie
in der Umrahmung an einen Altar in Albion im
Eisacktal, und stammt wie dieses wohl aus der
Bozener Gegend. Diese speziellen Mitteilungen ver-
danke ich Herrn Dr. Robert Stiassny in Wien, der
sich im Auftrag des Unterrichtsministeriums mit
Meister Michael Pacher beschäftigt.

Der Hochaltar selbst mit seiner üppigen Orna-
 
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