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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

DOI Artikel:
Gross, Karl: Kunstgewerbliche Zeit- und Streitfragen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4882#0124

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n6

KUNSTGEWERBLICHE ZEIT- UND STREITFRAGEN

ERZIEHERISCHE KLEINARBEIT

Große Ziele für eine geistige und wirtschaftliche
Bewegung aufzustellen, ist wohl nötig, noch nötiger
ist aber dann das praktische Leben, wie es nun ein-
mal da ist, tüchtig anzufassen und auf die richtigen
Wege zu bringen. Das kann man nicht durch Vor-
träge und Aufsätze allein fertig bringen, das voll-
bringt nur die praktische Tat!

Zu dieser meist örtlichen Kleinarbeit gehört zu-
nächst die Aufgabe, das Publikum zu persönlichen
Aufträgen anzuregen, um dem tüchtigen Kunsthand-
werker die Existenz zu ermöglichen, eine der wich-
tigsten Aufgaben für die Kunstgewerbevereine. Leider
haben die Innungen dieser Kernfrage einer gesunden
Mittelstandspolitik bisher wenig Beachtung geschenkt,
sie sind im Gegenteil den modernen Bestrebungen,
die darauf hinzielen, meist mißtrauisch oder verständ-
nislos gegenüber gestanden. Haben es doch Hand-
werker und Gewerbekammern fertig gebracht, in Be-
richten zu schreiben, »daß es mit dem modernen
Stile nun vorbei sei und man sich nun wieder den
alten Stilen zuwende«. Diese Kammern handeln wie
ein Bauer, der Getreidesamen und Unkrautsamen
nicht auseinanderkennt, Unkraut sät und nun auf
Ernte hofft. Wenn dann das Unkraut üppig empor-
schießt, wird geklagt, daß es schlecht ums Gewerbe
stehe. Wer nicht guten Samen sät, kann auch nicht
auf gute Ernte rechnen.

Es herrscht in Handwerkerkreisen vielfach noch
zu wenig Klarheit über die eignen Verhältnisse und
Möglichkeiten. Früher war das Handwerk der Kern
des werktätigen Volkes, heute hat es diese Stellung
der Industrie abtreten müssen und sucht nun nach
dem ihm zukommenden Rahmen innerhalb des wirt-
schaftlichen Lebens. Dabei ist zu bedenken:

Der Handwerker mit technischem Talent entwickelt
sich zum Industriellen, — der Handwerker mit kauf-
männischem Talent zum Händler oder Kaufmann, —
der Handwerker mit künstlerischem Talent zum Kunst-
handwerker. Für jene ohne Talent ist im Handwerk
keine Existenzmöglichkeit mehr. Daraus ergibt sich,
daß dem eigentlichen Handwerk stets jene Kräfte ver-
loren gehen, welche sich nach der Seite des Industrie-
ellen entwickeln oder als Händler mit Fabrikwaren

ihr Fortkommen suchen. Beide sind nicht mehr zu
den Handwerkern zu rechnen, gehören also auch
nicht mehr in die Innungen, sondern zu den Industrie-
und Handelsorganisationen. Als zukunftsicherer Kern
der Innungen bleibt nur der Kunst- und Qualitäts-
handwerker, welcher darauf angewiesen ist, daß ein
verständig und solid empfindendes Publikum von
ihm persönliche Arbeit verlangt.

Dies allein müßte die Innungen veranlassen, An-
schluß an die kunstgewerblichen Ziele zu suchen.

Als die wirtschaftliche Entwickelung die Zusammen-
fassungen jenes Kleinhandels brachte, der weniger
auf Güte als auf Massenabsatz beruht, riefen die
Innungen um Hilfe gegen die Warenhäuser. Sie
wollen damit für sich Handelsinteressen retten, die
im Grunde nicht handwerklicher, sondern industrieller
Natur sind und verwirren beim Publikum so das
Unterscheidungsvermögen zwischen handwerklicher
Arbeit und Maschinenarbeit noch mehr. Gerade im
Gegenteil müßten die Innungen alles von sich ab-
schütteln, was rein industrieller Natur ist und sich
klar auf den Boden der Handarbeit stellen, der per-
sönlichen Qualitätsarbeit, die nur der tüchtige Meister
leisten kann.

Diese Entwickelung kann natürlich nur Hand in
Hand gehen mit der Verbreitung soliden Geschmacks
im Publikum. Dann wird auch der tüchtige Schuh-
macher- und Schneidermeister sein Publikum finden,
das sich seinen Geschmack nicht von der Industrie
diktieren läßt, sondern »Persönliches« verlangt, und
der Buchbinder wird wieder Bücher solid und ge-
schmackvoll binden können usw.

In diesen Fragen kann es keine Gegensätze
zwischen Künstler und Handwerker geben, sondern
nur verständiges Zusammenhalten, der Künstler muß
zum Handwerker, der Handwerker zum Künstler
streben, dann gibt es wieder Meister im alten Sinne,
die neben der Industrie einen ehrenvollen Platz be-
haupten können.

Also Fühlungnahme von Kunstgewerbevereinen
und Innungen zu erziehlicher Kleinarbeit im Hinblick
auf große Gesichtspunkte!

Schlußvignette

von
Adolf Sonnen-
schein, Dresden
 
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