Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

DOI Artikel:
Kunstgewerbliche Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4882#0227

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2 1 8

KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

einer künstlerischen und geschmacklichen Erziehung un-
entbehrlich sind. ,

Über die Ziele und Mittel der gewerblichen Erziehung
sagte Dr. Dohm: »In der Erziehung ist zu unterscheiden
zwischen: der Heranbildung der Handwerker für Handwerk
und Fabrikbetriebe und zwischen der Entwicklung besondere!
Begabungen zu künstlerischer Befruchtung des Gewerbes.
Diese Ziele bedingen indes bis zu einem gewissen Grade
eine gemeinsame Erziehungsgrundlage, denn die Heran-
bildung der technischen Arbeitskräfte des Gewerbes wäre
unvollkommen ohne Hinweis auf die Veredelungsmog/M'/z-
keiten, die auf der geschmacklichen Seite der Ausführung
liegen, und die Entfaltung der künstlerischen Begabung
kann, wenn sie dem Gewerbe dienstbar gemacht werden
soll, nur auf der Grundlage der technischen Arbeit und
im Rahmen der wirtschaftlichen Möglichkeiten vor sich
gehen.« Beides, die Heranbildung und die weitere Ent-
wickelung, wird immer, wenn nur die äußeren Bedingungen
hier vorliegen, im Gewerbe selbst geschehen.

Die Staatsschulen sollten hier nur eingreifen, wenn
wirklich ein Bedürfnis vorliegt. Auf jeden Fall sollte auch
in ihnen die vorhergehende Praxis im gewerblichen Leben,
als bestes Gegengewicht gegen den gefährlichen Individua-
lismus künstlerischer Begabungen, Aufnahmebedingung sein.

Im allgemeinen sei aber der Weg der Förderung des
Gewerbes und der Kunst dem Staate genau vorgeschrieben:
den Künstlern und Handwerkern gute Aufträge zu ver-
schaffen und von dem leidigen Submissionswesen abzu-
lassen! Der Staat könne also von sich aus das Erziehungs-
und Submissionswesen zusammenlegen!

Hofrat Bruckmann-WeWbronn sprach als Großfabrikant
und erzählte als Beispiel, wie das Bestreben, Gutes und
Neues zu bieten, leicht zur Hetze und zur Modejagd führt,
daß in der Silberwarenindustrie nur für Bestecke 30 neue
Muster in kurzer Zeit herausgekommen seien, für die
die Maschinenkosten allein 120—150000 Mark betragen
haben! Es leuchtet ohne weiteres ein, daß dies ein un-
gesunder Zustand ist, der natürlich auch eine Steigerung
der Preise hervorruft. In der Tat mußten die Silberwaren-
fabrikanten einen Ring zur Aufstellung und Einhaltung von
Mindest-Verkaufspreisen bilden.

(Man kann unter den geschilderten Umständen wohl
begreifen, daß gerade diejenigen Fabrikanten, die Gutes
produzieren wollen, zurückhalten, damit die neue Bewegung
nicht der Mode verfalle. In anderen Fabrikationszweigen
steht die Sache noch viel bedenklicher. Zum Beispiel
konnten die großen Möbelfabrikanten das Modell eines
Speise- oder Wohnzimmers fünf bis sechs Jahre lang ver-
kaufen, und jetzt veralten, tatsächlich: veralten, die Modelle
so schnell, daß fünf bis sechs in einem Jahre kaum ge-
nügen. Man könnte sich daher eigentlich nicht wundern,
wenn die Qualität darunter litte, was aber meist wohl
trotzdem nicht geschieht. Aber, daß als Brotartikel noch
immer und wieder mehr die alten Stilmöbel fabriziert
werden, ist die natürliche Konsequenz. Bedauerlich ist
auch dabei, daß das Heranreifen geschmackbegabter Arbeiter
durch diese Verhältnisse erschwert wird, da man ihre
Lebensführung nicht durch Zahlung höherer Löhne ver-
feinern kann.)

Zu der Frage der Erziehung des Nachwuchses in und
durch die Industrie selbst äußerte sich Hofrat Bruckmann
zustimmend, doch müsse der Werkbund noch neue Wege
hierfür ausfindig machen; die bisherigen Arbeiter kennen
das Wesen ihres Gegenstandes gar nicht und die Vorarbeiter
besitzen nicht das notwendige Lehrtalent. — Eine Ver-
edelung der industriellen Produktion geschähe nicht nur
durch neue Formen, sondern auch durch bessere Lebens-
bedingungen für die Arbeiter.

fe

F,

In den Lehrwerkstätten innerhalb der Industrie müsse
direkt für den Verkauf und nach Aufträgen gearbeitet werden;
e Schüler müssen außer Kenntnis der Kalkulation prak-
tische Kenntnisse von der wirtschaftlichen Ökonomie er-
langen und das Wesen der Konkurrenz verstehen lernen;
,""", sie sollen vielleicht schon an der Schule ihren Unterhalt
verdienen können. Die Kosten für diesen Unterricht in
Werkstätten der Industrie könnten vielleicht so geteilt
werden, daß der Staat die Lehrer und die Industrie die
Arbeiter und das Material bezahlt. In diesen Schulen,
c die natürlich von dem übrigen Betriebe losgelöst werden
müßten, könnte man Erzieher für die Eachschulen erziehen!
Die Lehrer müßten aber wechseln und selbst zur praktischen
Arbeit zurückkehren. Von den jetzigen Lehrern der Kunst-
gewerbeschulen würde die Industrie wohl keinen über-
nehmen wollen.

(Ich möchte hier erwähnen, daß ähnliche Versuche,
wie Hofrat Bruckmann sie empfiehlt, von intelligenten
Handwerkern bereits aus eigener Initiative eingerichtet worden
sind. So hat zum Beispiel der Kunsttischler Bernhard Oöbel
in Freiberg i. S. (Mitglied des Werkbundes) damit begonnen,
Schülern der Freiberger Gewerbeschule resp. der kunst-
gewerblichen Tischler-Fachschule Gelegenheit zu geben,
wöchentlich 75 Stunden innerhalb seines Betriebes unter seiner
Leitung praktisch zuarbeiten. Diese 15 Stunden sind fort-
laufend, damit die Arbeit nicht durch zu häufige Unter-
brechung vielleicht etwas Spielerisches erhält, und zwar
wird der Montag ganz (10 Stunden) und der Dienstag
halb (5 Stunden) für diesen Unterricht angewendet. Der
Staat vergütet Herrn Göbel die Zinsen der Kosten des für
diese Zwecke errichteten Anbaus an seinen Betrieb und
zahlt eine kleine Summe als Honorar. Herr Göbel stellt
das Material und erhält die gefertigten Arbeiten. Zuerst
arbeiten die Schüler nach Entwürfen des Herrn Göbel und
später dürfen sie ihre eigenen Entwürfe mitbringen und
ausführen. Die Rückwirkung auf die Schule, das heißt auf
den theoretischen Unterricht, wird von den Lehrern als
ganz vorzügliche geschildert. Diese Schüler (es sind bis
jetzt fünf) zeichnen sich durch frische und lebendige Auf-
fassung auch im theoretischen Unterricht aus. Dies ist
gewiß darauf zurückzuführen, daß die Hände Gelerntes
jederzeit ins Wirkliche übersetzen dürfen. Ich halte das
Beispiel, das Herr Göbel hier gibt, für sehr nachahmens-
wert und, der geringen Kosten wegen, auch für sehr leicht
nachzuahmen!)

Professor Bosselt, der Direktor der Düsseldorfer Kunst-
gewerbeschule, gab eine ausführliche Darstellung der Ent-
wickelung und des Standes der jetzigen staatlichen Kunst-
gewerbeschulen.

Direktor Prof. /. /. Scharvogel plädierte für die künst-
lerisch ausgebildete Fachschule.

Ministerialrat Dr. v. Blaul vom bayer. Kultusministerium
bat die Versammlung, ihren sehr schätzenswerten Idealismus
ein wenig zurückzuschrauben. Er meinte, aus dem Hand-
werker einen Lehrer machen zu wollen, sei bedenklich und
auch schwer durchzuführen. Dem Versuch, die als Lehrer
wirkenden praktischen Handwerker in ihrer Schule Auf-
träge und Bestellungen ausführen zu lassen, werde von
Seiten der übrigen Handwerker heftiger, kleinlicher Wider-
stand entgegengesetzt. Wenn die Künstler die Forderung
aufstellten, selbst die kleinsten Kunstgewerbe-und Gewerbe-
schulen der Diaspora müßten in großzügig künstlerischer
Weise und von Künstlern geleitet werden, so hätten dies-
bezügliche Versuche der Regierung meist zu einem Miß-
erfolge geführt, weil entweder die Künstler, mit denen
man verhandelt habe, das Verlangen geäußert hätten, der
ganze Lehrerbestand und sämtliche Schüler müßten erst
entlassen werden, bevor sie selbst ihre künstlerischen Ziele
 
Annotationen