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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4882#0228

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KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

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verwirklichen könnten (Heiterkeit), oder sie wünschten,
fest angestellt zu werden, wollten nicht in der Einsamkeit
bleiben usw. usw., kurz der Idealismus der Künstler ver-
sage in dieser Hinsicht vollkommen, obwohl er gerade
hier seine Feuerprobe bestehen könnte und sollte.

Oeh. Oberregierungsrat v. Dönhoff bestätigte als Ver-
treter des preußischen Handelsministers diese Erfahrungen.

Schulrat Kerschensteiner (sehr lebhaft begrüßt) sagte,
eine lokale Lösung der Kunstgewerbe- und Fachschul-
frage sei nach seiner Meinung nicht möglich. Man müsse
an der Knabenschule die Hand anlegen. Unser Knaben-
schulen seien zurzeit direkt lebensfeindlich. »Einer macht
das Maul auf und achtzig andere die Ohren, so geht es
acht Jahre lang!« Man solle wenigstens die Hindernisse
jeglicher Lebensäußerung beseitigen und der ,4W;ft7sfreudig-
keit der Kinder, die ihre eigene Seele finden müßten, die
Nahrung nicht versagen. Acht Jahre lang würde das
Wissen der Erwachsenen in die Kinder hineingestopft und
nicht ein einziges Mal versucht, eine eigene Empfindungs-
äußerung aus ihnen herauszuholen. Zeichnen lernen,
Ideen ausführen. Und nach der Knabenschule? Wer gar
nicht weiß, was er mit sich, was die Eltern mit ihm an-
fangen sollen, der — geht in die Lehre! Natürlich gäbe
das nur Mittelqualität.

Dem allgemeinen Menschen müsse man Fürsorge an-
gedeihen lassen, diesen müsse man herauslocken, nicht den
Kunstgewerbler! Den Lebenshoffnungen der Arbeiter
müsse man Konzessionen machen.

Die Schulwerkstätte soll Ergänzung der mechanischen
Tätigkeit sein. Sie soll den Lehrlingen zeigen, was eine
ernste sachliche Arbeit sei. Die Lehrlinge oder Schüler
müßten eine staatsbürgerliche Erziehung genießen, den
großen menschlichen Interessen-Ausgleich verstehen lernen
und durch Arbeitsfreudigkeit das Leben erkennen.

Und was taten die Reaktionären unter den Hand-
werkern? Sie haben die Lehrlinge hinausgeworfen, weil
man den Fachschul-Unterricht in die Tagesstunden ver-
legt hatte!

(Man muß nur staunen, wenn man hört, in welcher
Weise gegen die Entwickelung der Fortbildungsschulen
gearbeitet wird. Das Kammergericht hatte kürzlich ein
Urteil gefällt, in dem es hieß: »Der Lehrling ist nicht Ge-
hilfe des Lehrherrn und nicht dazu bestimmt, im Interesse
des Lehrherrn in dessen gewerblichem Betriebe tätig zu sein«.
Hierin erblickten die Handelskammern in Elberfeld und
Liegnitz eine Oefahr der Überspannung in der Handhabung
der Fortbildungsschulpflicht und sie haben beim Herrn
Minister für Handel und Gewerbe den Erlaß von Aus-
führungsbestimmungen befürwortet, durch die einer solchen
falschen, mit den Forderungen des täglichen Lebens un-
vereinbaren (!?) Auslegung des Gesetzes vorgebeugt werden
soll. -- Ferner wird auch gegen die Bestrebungen, die
sich auf eine teilweise Einführung der Öffentlichkeit des
Fortbildungs-Schulunlerrichls beziehen, heftig gearbeitet. —
Es ist daran zu erinnern, daß auf dem »2. Kongreß deut-
scher Kunstgewerbetreibender in Düsseldorf am 14. Juni
1907« Herr Obermeister Fischer eine Resolution eingebracht
hatte, in der er verlangte, daß der Besuch von Fachschulen
auch obligatorisch gemacht werden sollte. Diese Reso-
lution, die auf eine Verschmelzung der Fachschule mit der
Pflichtfortbildungsschule hinzielte, wurde damals einstimmig
abgelehnt.)

Dr. ing. Muthesius sagte mit besonderem Nachdruck,
daß Schulen den Niedergang des Handwerkes nicht aufheben
könnten. Die Schulen können eine große prinzipielle Ent-
wickelung nicht zurückbilden. Dies von den Schulen zu
verlangen, sei grotesk.

Universitätsprofessor Cornelius stellte die Frage: wie
ist der Gehilfe, Ausführende des Handwerkers dazu zu er-
ziehen, daß er seine Arbeit künstlerisch mitempfindet? Es
genüge hierbei nicht, daß der Arbeiter sich »in Andacht
versetze«, sondern, wie die alten Handwerksmeister der
Renaissance die Ausbildung des Auges und die Gesetze der
Gestaltung für das Auge als etwas ganz Selbstverständ-
liches nebenbei mit gelehrt hätten, so müsse man die Ar-
beiter das »Nachschöpfen« lehren. Cornelius erzählte,
daß er in einem kleinen Orte einen Steinmetzen in seiner
Werkstatt gesehen habe, der die Arbeiter dazu angeleitet
habe, gegebene Ornamente und Figuren aus freier Hand,
mit freiem Auge — also ohne Zeichnung — aus dem Stein
zu meißeln. Was der Meister hier impulsiv von seinen
Gesellen verlangte, könnte eins der Lehrprinzipien des Werk-
bundes werden.

Baurat G. Halmhuber, Direktor der Kunstgewerbeschule
in Köln, glaubt, daß die Stagnation unserer Kunstgewerbe-
schulen daher käme, daß sieben Achtel aller Direktoren —
Verwaltungsbeamte seien!

Prof. R. Meyer, der Leiter der vorzüglichen und fort-
schrittlichen Hamburger Kunstgewerbeschule, wendete sich
temperamentvoll dagegen, daß den Kunstgewerbeschulen
in so allgemeinen Formen Vorwürfe gemacht würden.
Sehr viel von dem, was hier in neuen Forderungen for-
muliert worden sei, werde in den neuzeitlichen Kunstge-
werbeschulen schon seit längerer Zeit gelehrt oder praktisch
betätigt! Es sei zu bedauern, daß diejenigen, die theoretisch
die Kunstgewerbeschulen tadeln, sich niemals in denSchulen
blicken ließen, um den Unterricht aus eigener Prüfung
kennen zu lernen. — Es sei kaum zu glauben, was für
Forderungen aufgestellt würden. So habe z. B. kürzlich
eine große Vereinigung von Kunstgewerbetreibenden (ge-
meint ist der »Fachverband für die wirtschaftlichen Inter-
essen des Kunstgewerbes«) gefordert, im Unterricht der
Maler müsse dem Gipszeichnen der Vorzug vor dem Kohle-
zeichnen gegeben werden!!

Dr. Schäfer, Bremen, berichtet über seine Kurse, die
er mit Verkäufern abgehalten hat und auf die wir ausführ-
licher zurückkommen werden.

Bauinspektor Max Berg, Frankfurt, wünscht, daß den
Privatarchitekten, den Regierungsbaumeistern und den
Unternehmern die Pflicht der Lehrerziehung bei der Aus-
führung auferlegt werden solle. Er befürwortet auch eine
Reform der technischen Schulen in Hinsicht auf eine Aus-
bildung an Hand der Ausführung.

Malermeister Anton Qrieb, Straubing, erzählte in launiger
Weise, wie durch die Einrichtung einer Verkaufsgenossen-
schaft für künstlerisch gut durchgebildete Gegenstände auch
an kleineren Orten Gutes gewirkt werden könnte.

Dr. Robert Breuer, Berlin, empfahl, sich der Mit-
wirkung der großen Arbeiterorganisationen bei der Er-
weckung der Arbeitsfreudigkeit in den Arbeitern zu ver-
sichern. Allerdings dürfe man dem Erblühen dieser Arbeits-
freudigkeit nicht durch Lohnpolitik den Boden abgraben.

MsAnregungenzumfahres-Arbeitsplanewurdenio\gende
Beschlüsse gefaßt:

1) Die Herausgabe kurz gefaßter Spezialabteilungen
aus den einzelnen Gebieten gewerblicher Arbeit. Die
Herausgabe von »Käuferregeln«.

2) Die Einrichtung örtlicher Auskunftsstellen für das
kaufende Publikum.

3) Die Wahl einer »ständigen Ausstellungskommission
für die deutsche Kunst und das deutsche Kunstgewerbe«
zur Stellungnahme in allen Ausstellungsfragen.

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