„Gesundbeit!"
Das Verlangen nach Gesundheit in der Literatur ist aus der
Mode gekommen und beinahe schon in Verruf. „Gesundheit?", ant-
wortete das neue Geschlecht, „Gesundheit sagt gar nichts, gesund ist jede
Kuhmagd." Und cin kräftiger Widerspruch gegen das Trumpfen auf
Gesundheit war auch wirklich am Platze, denn es hatte sich ein Gesund-
heitsprotzentum in der Kritik entwickelt, das jeden Menschen, der Nerven
hatte, eben deshalb schon verächtlich ansah. Behandelte einer das Leid
eines Kranken — „Gesundheitl', forderte man im Chor, als ständen
nicht Hamlet und Werther und so viele andere große Dichtersöhne als
starke Eideshelfer neben dem angeklagten Poeten. Es war ein Streit,
obcrflächlich wie der um schön und häßlich und unfruchtbar wie er. Jetzt
aber sind die Forderer von Gesundheit so schweigsam geworden, daß man
wohl einmal fragen darf: hatten sie denn in nichts recht?
Ueberprüfen wir das im stillen, so werden wir wohl zunächst
daran festhalten: soweit den Aelteren beikam, die Behandlung von irgcnd
etwas Krankem als Stoff der Dichtung von vorn herein verbieten zu
wollen, hatten sie sicherlich unrecht. Es gibt nichts Krankes in der
Welt, das sich nicht in einer Dichtung darstellen ließe, ernst oder scherzend,
tragisch oder humoristisch oder in irgend einer zusammengefaßten Weise,
ohne daß uns daraus die Lustgefühle erwachsen könnten, die wir von
echter Poesie her kennen. Gewiß, sie brauchen nicht in jedem Fall so-
sort beim Lesen hervorzuspringcn: es gibt körperliche und seelische Krank-
heitserscheinungen, die uns schon in der Vorstellung so unerquicklich sind,
daß uns zunächst verletzt und abstößt, wer sie uns vorführt. Aber nur
beim schlechten Schriftsteller bleibt es dabei. Zwar, auch der wirkliche
Dichter zwingt uns wohl, ja, er vielleicht zwingt uns häufiger als andre
dazu: das häßliche Wirklichkeitsbild der Krankhcit nahe bis zum Ekeln
oder Grausen zu sehn, denn er wird häufiger als andre das Bedürfnis
nach starker Anschaulichkeit seines Bildes befriedigen könncn. Aber wenn
er verkörpert hat, so stark ers kann, so beleuchtet er mit seinem
Runstwart 1- Aprilheft
Das Verlangen nach Gesundheit in der Literatur ist aus der
Mode gekommen und beinahe schon in Verruf. „Gesundheit?", ant-
wortete das neue Geschlecht, „Gesundheit sagt gar nichts, gesund ist jede
Kuhmagd." Und cin kräftiger Widerspruch gegen das Trumpfen auf
Gesundheit war auch wirklich am Platze, denn es hatte sich ein Gesund-
heitsprotzentum in der Kritik entwickelt, das jeden Menschen, der Nerven
hatte, eben deshalb schon verächtlich ansah. Behandelte einer das Leid
eines Kranken — „Gesundheitl', forderte man im Chor, als ständen
nicht Hamlet und Werther und so viele andere große Dichtersöhne als
starke Eideshelfer neben dem angeklagten Poeten. Es war ein Streit,
obcrflächlich wie der um schön und häßlich und unfruchtbar wie er. Jetzt
aber sind die Forderer von Gesundheit so schweigsam geworden, daß man
wohl einmal fragen darf: hatten sie denn in nichts recht?
Ueberprüfen wir das im stillen, so werden wir wohl zunächst
daran festhalten: soweit den Aelteren beikam, die Behandlung von irgcnd
etwas Krankem als Stoff der Dichtung von vorn herein verbieten zu
wollen, hatten sie sicherlich unrecht. Es gibt nichts Krankes in der
Welt, das sich nicht in einer Dichtung darstellen ließe, ernst oder scherzend,
tragisch oder humoristisch oder in irgend einer zusammengefaßten Weise,
ohne daß uns daraus die Lustgefühle erwachsen könnten, die wir von
echter Poesie her kennen. Gewiß, sie brauchen nicht in jedem Fall so-
sort beim Lesen hervorzuspringcn: es gibt körperliche und seelische Krank-
heitserscheinungen, die uns schon in der Vorstellung so unerquicklich sind,
daß uns zunächst verletzt und abstößt, wer sie uns vorführt. Aber nur
beim schlechten Schriftsteller bleibt es dabei. Zwar, auch der wirkliche
Dichter zwingt uns wohl, ja, er vielleicht zwingt uns häufiger als andre
dazu: das häßliche Wirklichkeitsbild der Krankhcit nahe bis zum Ekeln
oder Grausen zu sehn, denn er wird häufiger als andre das Bedürfnis
nach starker Anschaulichkeit seines Bildes befriedigen könncn. Aber wenn
er verkörpert hat, so stark ers kann, so beleuchtet er mit seinem
Runstwart 1- Aprilheft