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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 12,2.1899

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Heft 16 (2. Maiheft 1899)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7958#0136

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Litcratur.

Ikundscdau.

* Ein wichtiger Neben-
Zweck der direkten Rede in
der Poesie.

Von den beiden Hauptbestandteilcn
jedes größeren Gedichtes, Handlung
und Rede, ist es wohl immer die
Handlung, welche den Gcnießenden,
Leser oder Hörer, vorzugsweise inter-
essiert. Wenigstens den modernen,
denn bei den Gricchen und Römern,
gcmäß ihrer dialektischen Geistesbil-
dung, scheint das Umgekehrte der Fall
gewesen zu sein, wie ja auch der mo-
derne Franzose, bei welchem die höhere
Bildung noch in der Renaissance-Antike
wurzelt, jedes Geschehen als Anlaß
zu einem Wort bctrachtet.

AuS dcm übcrwiegenden Jnteresse
des Genießenden sür den Handlungs-
bestandteil hat man nun auch auf
einen inneren Vorwert der Handlung
schließen wollen, woraus dann im
Drama durch möglichste Vcrkürzung
der Reden der berüchtigte Laubesche
Telegrammstil erwuchs. Dicse Aus-
schreitung darf heutzutage, vornehm-
lich durch das Verdienst der Nealisten,
für überwunden gelten; nicht jedoch
die Neigung zur Hintansetzung der
Reden überhaupt, sodaß ein Wort
hierüber schwerlich überflüssig seinwird.

Unter dcn mannigfachen Gründcn,
warum der direkten Nede, trotzdem sie
entschieden weniger intcressiert, injedem
größeren Gedicht gleichwohl ein ganz
beträchtlicher Raum muß gestattet
werden, ist einer, der nach meinem
Dafürhalten noch nicht genügendc Be-
achtung gefunden hat. Die direkte
Rede besitzt nümlich unter anderm auch
Mäßigungswert, sie zähmt, indem sie
die Phantasie bei einer gegebenen Szcno
zu verweilen zwingt, die dem Dichter
unwillkommene unkünstlerische rein
sachliche Neugier, und zwar kommt
hiebei geradezu dic räumlichc AuS-
dchnung der Rede, ihr Zeitwert, ihr
äußeres Proportionalverhältnis zur
Ausdchnung der Handlungselemcnte
in Betrachü Ein Drama, in welchem
die direkte Rede räumlich der Hand-
lung nicht das Gegengewicht hält, ge-
rüt barbarisch, cin Epos phantastisch.

Beim Epos erhöht außerdcm die di-
rektcRede dieWahrscheinlichkeit der Er-
zählung; denn die Jllusion einerPerson,
dic in direkter Rcde meine Sprache
spricht und mcine Logik denkt, ist stär-
ker als die Jllusion einer Person, von

Kunstrvart

dcr nur eine Handlung erzählt oder
nur der ungefähre Hauptinhalt ihrer
Worte in indirekter Rede mitgeteilt
wird. Ob freilich das gewaltige Ueber-
gewicht, welches Honier der direkten
Rede gegcnübcr der Handlung gönnt
(so gewaltig, daß bei ihm öfters dic
Handlung nur als Einleitung oder
Nachschlag der Neden Platz findetf, ob
solch ein Uebergewicht als ewig vor-
bildlich gelten dürfe, scheint mirzweifel-
haft. Das muß wohl dcn nationalen
Eigentümlichkeiten zugezählt werden,
wie die Reden des Thukydides. Denn
wie sollte sich die Lust der tzellenen an
streng logischer Gcdankenentwicklung,
jene Lust, diespäter die Sophistik, die so-
kratischeDialektik,das athcnischeDrama
mit seinem scharfen Wort und Gegen-
wort zeitigte, nicht schon im Home-
rischen Zeitaltcr geäußert haben? Das
Gegenteil wäre uuwahrschemlich.

Deutlich gesagt: ich glaube in den
Homerischen Reden, in ihrer Häufig-
keit und Ausführlichkeit, in ihrer un-
erbittlichcn Vordringlichkeit schon etwas
Virtuosität zu spürcn. Uns Neuern
aber könnte ein wcnig von dieser Rede-
zucht in der Poesie nicht schaden-

Larl Spitteler.

* Wie's gemacht wird.

Jn Nr. i der „Literarischen Mit-
teilungen aus E. Piersons Verlag in
Dresdcn" werden „die neuestcn Ver-
lagswerkc im Lichte der Kritik" ge-
zeigt. Zur Empfehlung von Elsa
Zimmermanns Gedichten ,,Der Tag
hat sich geneigt" wird dabei eine Be-
sprechung aus dcr Uevue kranao-LlIe-
innnäe zitiert, von der wir im Fol-
genden cin Stück nach dem Origi-
nale neben ein Stück nach dem Zi-
tatc setzen-

Original:

Eswareine all-
zugefchickte, cine
peinlichgcschickte
Hand gcwesen, die
dies Gedicht aus-
wählte: das Buch
hält nicht, was
uns diese tiefquel-
lcndcn Strophen
versprechen.
Wenn sich aber
die erste Ent-
tüuschung ver-
loren hat, dann
kommt man doch
bald zu der freu-

Zitat:

Es war eine ge-
schickte tzand ge-
wesen, die das Ge-
dicht auswählte:
dasBuchhältnicht
ganz, was uns
diese tiefquellen-
den Strophen ver-
sprechcn, abcrbald
kommt man doch
zu der freudigen
Erkenntnis, daß
man es mit einer
wirklichen Dich-
terin zu thun hat;
und man wird
 
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