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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 12,2.1899

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Heft 22 (2. Augustheft 1899)
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Die Goethe-Gesellschaft und Weimar
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Lier, Leonhard: Goethe und das Theater
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https://doi.org/10.11588/diglit.7958#0328

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ihre nationcile Aufgabe ernst, dann wird sie auch blühen und gedoihen — bis
einst, vielleicht erst nach Jahrhunderten, der nene Große kommt, dcr den Altcn
von Weimar in der gcistigen Führung dcr Nation ablöst.

Soetde und das 'Tdenter.

Nicht die Stcllimg Goethcs zum Theater seiner Zeit, nicht seine Thätigkeit
als Leiter der Weimarschcn Bühne soll uns heute beschäftigen und nicht soll dic
Literatur, die hierüber vorliegt, um einen kleinen Beitrag vermehrt iverden.
Wir fragen vielmehr: wie stellt sich das Theater der Gegenwart, wie ihre dra-
matische Dichtung zu Goethe?

Ohne Zweifel wird das Jubiläumsjahr wiedcr einmal die Aufmerksam-
keit der Thearerunternehmer auf den Alten von Weimar lenken und ihn wieder
auf Zoit aus dem Hintcrgrund hervorrücken, in den ihn die lachenden Erben
Kotzebues gedrängt haben. Wie zu Goethes und Schillers Lebzeiten, so ist auch
heute noch Kotzebue der Herr der Situation aus deutschen Bühnen, und auch der
.Hund des Aubry ist noch nicht gestorben. Ja, man muß leider bekennen, daß
die Verhältnissc zwischen Dichtung und auch dichterischer Jndustrie irn Laufe
von mehr als einem Jahrhundert, nicht zuletzt infolge der außerordentlichen
Vermehrung der ständigen Bühncn, sich durchaus zu Ungunsten der Dichtung
weiter entwickelt haben. Unter diesen Umständen wird man gut thun, den
Erfolg der jetzt von allen bemerkcnswerten Bühnen geplanten oder schon
veranstalteten Aufführungcn Goethischer Dramen nicht zu überschätzen, ist doch
der Einsluß der Bühnen auf die öffentliche Geschmacksbildung übcrhaupt ein
außerordentlich geringer, weil zumeist eine gute Wirkung durch eine Mehrheit
von schlcchten wieder aufgehoben wird. Jmmerhin wollen wir den Erfolg der
Goetheabcnde auch nicht ganz hinwegleugnen. Für gar viele, namcntlich sür solche,
die nicht gewohnheitsmäßige Theaterbesucher sind, bedeutcn dcrartigc Klassiker-
abende bei nur halbwegs entsprechender Darstellung cin Fest, von dessen Ein-
drückcn sic noch lange zehren, ja für dic sie sich dahcim durch vorheriges Lescn
vorbereiten und die sie wohl auch nachher durch nochmaliges Lesen zu vertiesen
suchen. Wo von ernslhasten künstlerischen Bildungsbestrebungcn, von wirklicher
Genußfrcudigkeit die Redc ist, da muß man allenthalbcn mit solchen Stillcn
im Lande rechnen, die keine laute Majoritüt bilden, die nicht in den Premwren
in den ersten Reihen der Balkons prangen und sich nicht mit Vorlicbe von
Dramcn unterhalien, die noch gar nicht geschriebcn sind, die aber doch
ernste künstlerische Traditionen pflegen und entsprechcnde Anregungen dankbar
aufnehmen und weiter geben. Der Grund für solche Empfänglichkeit, wie wir
sie für cinen dauernden Erfolg dcs Gocthcjubiläums wo nicht voraussetzcn, so
doch wünschen müssen, muß in der Jugend, durch Haus und Schule gelegt
werden. Gerade für Gocthe pflegt freilich in dicser Beziehung nicht viel zu
geschehcn. Jedenfalls nicht in dem Maße, wie für Schiller und Körner.
Schwcbt um ihn, wcnn auch imeingestandcner Weise, auch für evangclische
Familienhüupter etwas von dem Bann, unter den ihn die Litcraturgerichts-
sprechung des Zentrums gethan hat, sürchtet man von dem Menschlichen, Allzu-
mcnschlichen seincs Lebens und Dichtcns, von seinem klaren und starken Wirklich-
keitssinn einen ungünstigen Einfluß auf die Jugend?

Runstwart
 
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