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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 12,2.1899

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Heft 18 (2. Juniheft 1899)
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Avenarius, Ferdinand: Begeisterung und Kritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7958#0184

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Geltenlassen von Konslikten ist natürlich selten etwas in solchen Ergüssen„
und von einem Darstellen und Charakterisieren noch seltener; des Kritiker-
Künstlers Trapez schwebt in kühnsten Schwingungen zwischen „Famos!"
und „Pfui Teufel!" dahin durchs Blau, bis er mit einem genialischen
Saltomortale herabhüpft. Genialisch überhaupt ist diese ganze Rezcn-
siererei, wie nur je eine gewesen ist, genialisch in dem bewußten historischen
Sinne, auch wo der literarische Künstler nicht in den allergrünsten
Farben daherkommt. Es ist eben fast durchweg Stimmungskritik. Un-
ehrlich ist sie nicht, sie will der Sache dienen, sie unterscheidet sich da-
durch vorteilhaft von der Rezensierkunst der Kopfklowns, welche die Bücher
nur benutzt, wie der jonglierende Hanswurst die Bälle. Deshalb ist sie
nicht widerlich, sie ist oft sogar, menschlich genommen, sehr sympathisch.
Es fragt sich nur, ob sie uns wirklich vorwärts bringt. Fragt sich das?
Es muß sich doch wohl fragcn, denn es gibt jetzt in der That eine große
Anzahl von Leutcn, die einer noch so herzlich anerkennenden Kritik einen
Vorwurf machen, wenn sie auch erwähnt, was nicht gefällt. „Bewun-
derst du", heißt es dann, „so bewundere ganz, lobst du, so lobe ohne
Rückhalt, sonst verletzest du uns aufrichtige Bewunderer des auch von
dir, aber »lau«, bewundcrten Mannes." Man macht sich über die Bis-
marck- oder Kaiserschwärmcr lustig, die nicht zugcben wollen, daß Bis-
marck und der Kaiser doch auch Menschen sind, bei denen es also da und
dort mcnschelt. Man verlangt vom Kritiker Begeisterung in einer Nach-
folge durch dick und dünn, ohne daß er sagen dürfe: hier komm ich
besser vorwärts, als dort.

Nun halte ich meinerseits Begeisterungsfähigkeit nicht nur für eine
der meist beglückenden Eigenschaften des Menschen, ich halte sie auch
für eine der wichtigsten Erfordernisse zu umfassendem und freiem Er-
kennen. Wer auf ihren Adlcrfittichen sich hoch erhebt über den nüch-
ternen Gang auf der Erde, genießt nicht nur wohligen und stolzen Flug-
gefühls, sondern auch tieferer Ein- und weiterer Ausblicke und einer
klarer ordnenden Uebersicht. Aber freilich nur, so lange jenes Flug-
gefühl nicht anwächst zu einer noch so edeln Trunkenheit ohne Wein.
Jst die eingetreten, so kann man von einem Erkennen wohl nur in recht
individuellem Sprachgebrauche reden.

Betrachten wir, trotz ihrer also anerkannten Vorzüge, einmal
ganz ohne Begeisterung, wie man begeistert wird. Beispielsweise: am
Genuß eincr dramatischen Dichtung. Noch sind wir „kühl"; irgend eine
Anschauung, irgend eine Beobachtung hat zwar unsre Aufmerksamkeit cr-
weckt, aber doch nur, wie etwas uns Fremdes in der Außenwelt auch —
wir sind mit dem Jntellekt „interessiert", aber noch nicht mit dem Ge-
sühle „beteiligt". Plützlich springt ein Wort wie ein elektrischer Funke
auf unsre Nerven über, und fortan sühlen wir auch Lust und Unlust
der Handelnden über uns gleichsam Schatten ziehn. Jch weiß nicht, ob
man diesen Zustand des Genusses schon ein „Erwärmen" nennen kann,
jedenfalls ist er noch ziemlich äußerlicher Natur, ist er nur ein rein ner-
vöses Verhalten sympathetischer Erregtheit durch den Stoff. Dem fciner
Empfindenden kann's bei einem Nühr- und Tendenzstück geschehen, daß
diese phpsiologische Rührung eine Thräne ins Auge bringt, während er
gleichzeitig eben dies deutlichst als eine Art von Vergewaltigung empfindet
und mit Unmut dcn Schmarren ablehnt, wie zuvor. Das große Publikum

^unsiivart

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