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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 12,2.1899

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Heft 21 (1. Augustheft 1899)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7958#0312

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deine Andacht vor den goldglühendcn Säulen des Parthenon und vor den
stillen Jungfrauen des Erechtheion. Und wenn der Hymcttos heitzrot
aufstrahlt im Widerschein der scheidenden Sonne, wenn das dunkle Blau des
Meeres seine weichen Arme um Salamis Felsen schlingt, wcnn feierlich rauschend
der Abendwind durch den heiligen Oelwald streicht: dann — dann gedenke
deines Freundes! Weiter ist nichts vonniiten, und weiter verlange ich nichts
von dir."

Der Alte schwieg und blickte mit stillor, fast schüchterner Frage auf den
Jüngling- Den aber ritz schnell einc überquellende Begcisterung dcs Glückes
dahin; mit wirrer Knabenrede stammelte er wieder und wieder seinen Dank,
kühte wieder und wieder dic Hände des Treuen, und in hcrrlicher Hoffnung
auf kommende Wunder strahlte sein Auge beglückt, feurig und ahnungsvvll.

Der Greis abcr legte in stummer Erschütterung noch einmal die Hände
auf sein Haupt und drängte ihn dann niit liebevoller Gewalt aus der Thür.
„Zu deiner Mutter!", stotterte er. Denn er vermochte die Thränen nicht länger
zurückzuhalten.

Doch indem er den freudevoll Enteilenden aus dem Fenster nachblickte
und die schlanke Gestalt schön schreitend langsam im Nebel verschwinden sah,
da bewegte cr das graue Haupt mit einem sonderbaren, listigen und fast bos-
haften Lächeln, und es klang wie cin keckes Triumphieren, das er da murmelte

„Geh hin, mein Sohn — du bist mir noch nicht verlorenl Deine Augen
sind offen und froh und können nicht umsonst im Allerheiligsten der Schön-
heit wachen. Sieh Athen und dann lebe! Jch habe deine Seele mir wieder-
erobert." Dann schluchzte er einmal auf aus tiesster Brust; doch er bändigte
sich schnell und sprach mit fester und lauter Stimme daS sophokleische Sehn-
suchtslied seinen Göttern entgegen wie ein hcihes Gebet:

O könnt' ich hin, wo waldig des Berges Haupt,

Von Meereswogen umspült, sich hebt,

Unter Sunions hohen Fels,

Heilige Stadt Athenas, dir
Grühe zu senden!

Nundscdau

Dichtung.

* Die siebzigerJahre in unsrer
Literatur. Jn einem Aufsatz von
Eugen Wolff „Ueber Klaus Groths
Leben" (Beilage des Hamburgischen
Korrespondenten) lese ich zufällig die
folgenden Sätze: „Leider schlieht er
tH. Siercks, derBiograph Klaus Groths)
sich sogleich im Vorwort der schrullcn-
haften Literaturgeschichtskonstruktion
von Adolf Bartels an, die für die
siebziger und ersten achtziger Jahre
unseres Jahrhunderts eine -Zcit tief-

Kimstwart

sten Verfalls der deutschen Literatur«
voraussetzt... Das ist denn doch ein-
seitig jüngstdeutsche Literaturgeschicht-
schreibung: ist es im Ernst erlaubt,
die Schassenszeit cincs Anzengruber,
die Zcit des eigentlichen Ausstiegs von
Gottfried Keller, 5lonrad Ferdinand
Meqor, Wilhclm Raabe und Fontane,
des Uebergangs von Thcodor Storm
zum künstlerischen Realismus, des
Fortwirkens von Gustav Frcrstag nnd
— Richard Wagner eine »Zeit tiefsten
Verfalls dcr deutschen Litcratur« zu
nenncn?" Es ist mir, wie ich Kennern
 
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