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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 12,2.1899

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Heft 23 (1. Septemberheft 1899)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7958#0392

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traulichm Dorf, die mit betrachtendein
Blick ihres Weges ziehende Bäuerin,
die tiesernste Mutter und die drollige
Brückenfigur des kurzen Herkules mit
der Keule.

Für Corinths Akt- und Ver-
brechcrdarstellungen, die er als „Kreu-
zigung" in die Welt schickt, kann ich
keine Begeistcrung aufbringcn, wcnn
auch diese Schildcrungen allgemcin
als sehr „ernste" belobt werden. Mir
kommt's mehr vor, als könnt' ich da
ein gewaltsames Augenrvllcn des Knnst-
lers gewahren, mir scheinen sie er-
zwungen. Einen oiel natürlichcren
Eindruck macht Corinth auf mich mit
dem, was er heuer ausstollt. Ein
dralles nacktes Weibsstück voll Sieges-
lachens im Blick zieht sich zum Kar-
neval an, wührend einige alterfahrene
Damen derweil mit Kenncrmienen die
triumphverhcißenden Nuditäten taxie-
ren. Ein derber Humor hält alles
ekelhaft Lüsterne von diesem Bilde fern-

Jch habc allen Respekt vor Urb an
als Landschaftsmaler, wenn er sich
wie bei seinen Schilderungen des
Ncmi-Sees selbständig gibt, und auch
den Fischdarsteller Urban liebe ich;
denn er versteht's, uns diese stummen
Geschöpfe in ihrem eigentümlichen
Wesen, in ihren Jndividualitäten nahe-
zubringen, während sich bis jetzt die
Stilllebenmaler meistdarauf beschränkt
haben,dieSchuppenderFischeblinken zu
lassen. Abcr wcnn Urban sich an Medu-
senhäupter heranmacht, will er über die
Grenzen seiner Begabung hinaus. Ein
herkömmlich griechischer Frauentypus
mit ängstlich gespanntem Ausdruck
und nichts von der lähmenden Ge-
walt eines leichenhaftcn, gespenstischcn
Gesichts. Koloristisch freilich ist die
Sache sehr gut behandelt.

Mit der Selbständigkeit Walther
Firles war es ja nie weit her, abcr
er strebte srüher doch „rühmlicheren
Vorbildern" nach. Jetzt geht er auf
Wegen, daß man sagcn darf: er hat
nun gegründete Hoffnung, ein „Lieb-
ling des deutschen Volkes" zu werden.
Maria und die Engel. Entzückte, voll-
gesichtige und blühende junge Damen
um eine sützlächelnde Madonna ver-
sammelt. Die ersteren solleu wir für
flugfähige Engelswesen halten.

Unter den Porträts derLuitpold-
gruppe ist wohl das bedeutendste Ex-
ters Bildnis seiner Mutter. Trotz
des richtig herausspringenden Blicks
der lebensvollen Augen und des star-
kcn Drängens in allen Zügen, wirkt

Runstwart

der Ausdruck der Portrütierten auf
mich durchaus nicht übertrieben. Hier
ist nicht, wie bei Samberger so oft,
in einen einzelnen Teil des Gesichts,
ein gewaltsamer Zug hineingeprcßt'
sondern das hastige Lebcn pulst gleich-
mäßig durchs Ganze. Die Bildnissc
Raffacl Schuster-Woldans sind
sicherlich mchr als Schmuckstücke ge-
dacht und haben als solche in der feinen
weichen Art ihrer Farbengebung und
Körperdarstcllung ihre Vorzüge; aber
Schuster-Woldan sollte nicht soweit
gehn, wie mit manchem seiner Por-
träts: Ausdruck und Form des Men-
schengesichtes so zu vernachlässigen,
daß nur noch cine Schablone mit
Korinthen als Augen übrig bleibt.
Oder: er sollte nicht als Bildnis-
maler beurteilt wcrden wollen.

Jn einem eigenen Kabinettc des
Glaspalastes haben einige als „Jllu-
stratoren der »Jugend«" bekannte
Künstler ihre Oelgemälde und Aqua-
relle ausgestellt. Ein Münchner Kunst-
kritiker meint: diese Künstler seien be-
rufen, eine neue Romantik heraufzu-
führen, und dcr alte Schwind selber,
cin so böser Kritiker er gewesen sei,
würde an den jungen Leuten vielleicht
seine Freude gehabt haben. Jch muß
bekennen, daß ich die Frage nicht zu
entscheiden wage, was Schwind oiel-
leicht von den jungen Leuten gedacht
haben würde, das aber weiß ich da-
für um so gewisser: Schwinds ganze
Künstlerart, seine Romantik war von
unserer moderncn Romantik in Grund
nnd Wesen verschiedcn. Schwind
lebte mit vollster Ünbefangenheit in
seiner Anschauungswelt, sie war ihm
der natürliche Ausdruck seines Seelen-
lebens; dcn Werken unsrer Neuroman-
tiker aber haftct das Künstliche, die
Gesuchtheit unverkennbar an. Man
betrachte sich einmal R. M. Eichlers
„cinBeethovcnquartett". Dievier fetten,
rotgesichtigen Biermänner kommen in
ihrem Leben nicht dazu, Beethoven zu
spielen, sondern sie stcllcn die richtige
Schunkelwalzerkapelle vor. Aber
nehmen wir selbst das Unmögliche an,
daß diese blöde Gesellschaft sich Zeit
und Mühe nehme, Beethoven zu stu-
dieren, so wird sie ihn doch jedenfalls
so seelcnlos vortragen, daß der schlanke
junge Mann im Hintergrund keines-
wegs tieferschüttert in sich zusammen
zu sinkcn braucht. 's ist eben ein
Spielen mit allerhand bekanntcn „Nei-
zen": Biedermaierzeit, dicke Philister,
Hausmusik, Beethoven, „seelische Er-

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