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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 12,2.1899

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Heft 23 (1. Septemberheft 1899)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7958#0394

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Snobismus, dem wir in Litcratur,
Kunst und Kunstgewerbe heute so häufig
zu begegnen daszweifelhafteVergnügen
habcn.

Ausgcklügelter und gekünstelter
Prunk steht einem Buch noch viel
schlechtcr zu Gesicht als jcdem anderen
Gegenstande, schlichte Schönheit da-
gegcn und Zweckmäßigkeit machen cs
doppelt reizvoll. Gcrade die Zweck-
mätzigkeit sollte bei der Buchausstat-
tung in erster Linie ins Auge gefaht
werden, Sache des Schönheitsgefühls,
des sicheren Geschmacks ist es dann,
dem Zweckmätzigen die Nüchternheit zu
nehmeu und edlo Formen zu geben.
Nun ist aber doch unzweifelhaft dcr
vornehmste Zweck des Buches der, ge-
lesen und möglichst oft gelesen zu wer-
den. Das scheinen manche, lediglich
aufs Dekorative hin arbeitende Buch-
künstler vollständig zu übersehcn. Sie
erniedrigen dieGeistesprodukte zu effekt-
vollen Schaustücken mit der Deoise:
ansehcn, aber nicht anfassen. Jnwic-
fern sie damit den Schriftstellcr chren,
mag dahingestellt bleiben. Bücher, die
man kaum anzufassen wagt, woil auch
die sorgfältigste Behandlung ihre Spu-
ren hinterläßt, bilden ein wnrdiges
Seitenstück zu jenen bizarrcn Sitz-
möbeln, die zu allcm anderen taugen,
nur nicht zum Sitzen. Da gibt es
Papiere von so mimoscnhafter Em-
pfindlichkeit, datz sie förmlich schon
durch das Ansehen verdorben werden,
und Einbünde, die man nur mit Glacö-
handschuhen berühren darf, weil jeder
Fingerdruck das feine, zarte Leder ver-
lctzt. O dieses unpraktische, glatte
Lcder, welcher Bücherfreund hätte es
nicht schon oft verwünschtl Kommt cs
mit dem Fingernagel in Bcrührung,
so haben wir gleich den schönsten
Kratzer, das Buch ist verschandelt, dcr
Aerger fertig. Es sollten ausschlietz-
lich nur die widerstandsfähigen, gc-
narbten und gekürnten Ledersorten zur
Verwendung gelangen.

Doppelt unangcnehm wirkcn die
mit übertriebenem Luxus ausgestat-
tcten Bücher, wenn sie einen literarisch
wenig bedeutenden oder gar wertloscn
Jnhalt umschlietzen. Der Kontrast zwi-
schen dem schmacklosen Kern und der
goldenen Schalc, die Anmatzung, wo-
mit sich ein literarischer Bettler in
glcitzenden Gewändcrn spreizt, hat
ebensoviel Komischcs wie Abstotzendes-
Einen platten Gedanken in eincm Vier-
zeiler lätzt man sich wohl noch gefallen,
aber ivenn der Vierzeiler mit splen-

Kunstwart

diden Lettern eine ganze Seite brett-
starken Whatmanpapiers für sich in
Anspruch nimmt, glcichsam für alle
Ewigkeit gebucht, so weiß man nicht
recht, ob man über diese plumpe Groß-
mannssucht lachen oder sich ärgern soll.

Die Buchästhetik stcllt ein paar
hüchst einfache Forderungen auf. Das
Format soll haudlich sein, der Umfcmg
nicht zu stark, lieber zwei dünnere
Teile als einen zu dickleibigen. Das
Papier grisfig und zähe, die Typen
von klarcm, gefälligen Schnitt, uicht
größcr als Korpus und nicht kleiner
als Petit, breiter Rand, aber nicht
so übertrieben groß, datz das Papier
die Hauptsache zu sein scheint. Bei
broschicrtenund kartoniertenEinbänden
müsscn unter allen Umständen die zu
dünnen Papiere vcrmicden werdcn,
ebenso die hellfarbigen und glatten,
am besten eignen sich dunkclgetönte,
etwas rauhc Stoffe. Besondere Auf-
merksamkeit verdient der Rücken, von
dessen Solidität die Haltbarkeit des
ganzcn Buchcs abhängt.

Wie Bücher schön scin könncn, ohne
übertrieben luxuriös und damit cnt-
sprechend tcuer zu sein, das haben wir
jetzt auch in Deutschland glücklicher
Weise oft Gelcgenheit zu sehen. Die
Hauptsache ist und wird immer bleiben
ein geschmackvolles typographisches
Arrangement, das für dcn mit feinem
Stilgefühl ausgerüsteten Leser ebenso
gut ein Jnterpretationsmittel darstellt
wie die Jllnstration. Wie delikat sind
bei aller Einfachheit manche Erzoug-
nisse der Drugulinschen Offizin, z. B.
die Griscbachschen Kataloge! Lieber
zehn schöne Bücher für dasselbe Geld,
was cin einzigcs LuxuSbuch kostctl
Wir wollen nicht in die Futztapfen
dcr französischen Sammlcr lreten, dic
mit ihrem rein aufs Aeutzerliche ge-
richteten Eifcr für weiter nichts Jntcr-
esse bekunden als für Pomp und kniff-
liche Finessen und es darin zu einem
Grade der Narrheit gebracht haben,
dem ein gewisser pathologischer Bei-
geschmack kaum abzustreiten ist. Biblio-
philie, nicht Bibliomuniel

vevmischtes.

" Die Gocthe-Feier des
deutschcn Volkes? Ja, wer hättc
vor zwanzig Jahren an dcn heutigcn
Tag gcdacht und dann nicht gehofft,
so allgemein würdc dcr Jubel nun
schallcn von dcn Alpen zur See und
über Berge und Meere hinweg, wo
Deutsche wohncn, datz man von einer

Zso
 
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