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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,2.1906

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1906)
DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1906)
DOI Artikel:
Steinhausen, Heinrich: Kultus und Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.8629#0135

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„Nun sag: wie hast du's mit der Religion?" Diese Gretchen-
srage liegt in unsrer problembelasteten Gegenwart auf den Lippen
vieler, und gewiß nicht wenige stellen sie mit gleicher Anteilnahme
des Gemüts wie Fausts Liebste. Und der Gefragte? Nun, schon
als gelehrter Doktor ist er ja nm die Antwort im geringsten nicht
verlegen und hat dazu viele und schöne Worte bereit. Trotzdem,
man merkt ihnen an, auch er sindet das Problem schwierig, sehr
schwierig.

Die Hauptsache aber bleibt ja, daß Gretchen mit dem Bescheide
so ziemlich sich zufrieden gibt, wenigstens vorläusig, und ihren Faust
weiter liebt. So werden auch den unter uns um die Religion Bangen
immer wieder hinlänglich beruhigende Auskünfte zuteil, und der
Belehrte wird davon überzeugt, daß unsre moderne Kultur, richtig
inventarisiert, noch immer im hinreichenden Besitze des „gefragten"
Artikels sich befindet. Freilich, wer nicht gerade zur Familie „Hoffe-
gut" gehört, der kann manchmal denken, es sei für alle Beteiligten
am besten, die Religion melde (um weiter kaufmännisch zu reden)
bei der heutigen Kultur den Konkurs an. Einerseits von der Natur-
forschung, andrerseits von der wissenschaftlichen Theologie immer
mehr bedrängt, nimmt ihre Wohnungsnot zu und sie weiß immer
weniger aus noch ein. Ja, die Frage gilt längst nicht mehr bloß dem
Werte, dem Jnhalt, dem Gebiete der Religionswahrheit, sondern
die moderne Bildung bewegt den Zweifel: gibt es überhaupt noch eine
Möglichkeit und ein Recht des Glaubens?

Doch, wie gesagt, an befchwichtigenden Antworten ist kein
Mangel. Vor allem bietet sich die Kunst dar, um über den Verlust
zu trösten, wenn es zum Schlimmsten kommt. Die am weit ver-
zweigten Baume unsrer Kultur so reich und prangend blühende, so
hoch und fein entwickelte Kunst.

Entgehn dem Hochgebildeten die Erhebungen, die Andachtschauer,
die Beruhigungen des Glaubens, fo vermag auch die Kunst zu er-

* Dieser Aufsatz ist von einem glüubigen Christen geschrieben, wir
möchten aber ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Gültigkeit seiner Schlüsse
nicht von dem Standpunkte seines Verfassers abhängt. Uns scheint es
für das unklare Denken unsrer Zeit über ästhetische Fragen besonders be--
zeichnend, daß man so oft Realitäten oder was man sür Realitäten hält,
mit Phantasievorstellungen in der gleichen Rechnung sührt. A



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