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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,4.1909

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Heft 19 (1. Juliheft 1909)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8817#0046
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Allgemeineres

halt nicht feststellen. Ich möchte annehmen, daß die Alleen einem älteren
Schloßpark entstammen und jetzt nur noch unvollständig erhalten sind,
so daß der Organismus einer großen regelmäßigen Anlage nicht mehr
fühlbar wird.

Auf der Wagenfahrt nach Bergen hatten wir in diesem lieblichen
Gelände das Gefühl, daß hier wohl wie in der englischen Landschaft
im Umkreis der Schlösser eine ordnende Hand tätig gewesen sei, die mit
feinem Gefühl die Massen vertcilt hat.

Bergen ist ein hübsches altes Städtchen, in dessen hochgelegener Kirche
uns eine üppig entwickelte Wandmalerei romanischen Stils überraschte.
Zwar ist sie restauriert, und wo ein Bild zerstört war, hat der Restanrateur
aus eigenem eine Komposition eingefügt, indem er sich, soweit er vermochte,
der Farbe und Formengebung seines alten Vorgängers anschloß. Aber
im ganzen schadeten diese Zutaten nicht viel. Anf dem Lhor sind Paradies
und Hölle geschildert, wobei natürlich die Hölle der Phantasie des Künstlers
viel mehr zu tnn gegeben hat als der Himmel.

Die Bahn brachte nns von Bergen nach Saßnitz.

Als wir zn Schiff gingen, hatten wir den lebhaften Wunsch, einmal
zurückzukehren und Nügen auf einer Fußwanderung genauer kennen
zn lernen.

Hie und da rief mir ein Ausblick auf Meer und Waldufer die Werke
des größten Meisters ins Gedächtnis zurück, der in Rügen seine Studien
gemacht, des Malers Kaspar David Friedrich, den man zu unrecht ve'r-
gessen hat, und den die nächste Generation mit Staunen und Ehrfurcht
betrachten wird. Das schönfte in unsern Galerien von ihm erhaltene
Bild ist gerade ein Motiv aus Rügen im Mnseum zu Weimar.

Alfred Lichtwark

Rundschau

Vorn Spiel mit dem Neis en

^xn meiner Iugend bin ich viel
O gereist, dann aber wurden
Kisten und Kasten fünf Iahre lang
immer leerer, und blieben weitere
fünf Iahre lang leer, eh sich ein
neuer kleiner Bodensatz zu bilden
begann. Ls war an kein Neisen
zu denken währeud dieser Zeit.
Da ich aber erstens immer ein
Plänenracher und zweitens immer
ein fideler Knabe war, so schnurrte
die alte Gewohnheit in mir weiter,
wie das Schwungrad in einem
Groschenwägelein, auch wenn's an-
gehalten ist —ich hoffte alljährlich:
diesmal geht's und studierte mit
rotem Kopf Fahrpläne und Reise-
bücher. Oh, was hab ich da noch

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abends im Bett für Reisen ge-
macht durch Norweg und dnrchs
Land Italia, durch Schottland,
durch Irland und durch Dalmatien,
Griechenland und die Tärkci, durch
Rußland und Spanien — nicht
einmal irgendein fremder Weltteil
ist vor mir sicher gewesen! Dann
kam Frau Wirklichkeit, klappte mir
die Bücher zu und lachte mich aus.

Frau Wirklichkeit hatte gar
keinen Grund, mich auszulachen,
wer dem andern von uns beiden
eine lange Nase machen durfte, das
war vielmehr ich. Daß ich nicht
reisen konnte, das leider war ein-
mal so, damit mußt ich mich ab-
finden auf jeden Fall. Aber
meine köstlichen Stundcn des Pläne-

Knnstwart XXII, 19
 
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